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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman
Autoren: Heinrich Böll
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uns bleiben; sie wäre sehr traurig, wenn sie erfahren müßte, daß wir den Wein sauer werden lassen; er ist ja lebensgefährlich verletzt worden, und ich hoffe, das große Staunen wird nicht wieder von seinem Gesicht verschwinden; die halten sich alle für unsterblich - so ein sprödes kleines Geräusch kann Wunder wirken. Bitte, ihr Mädchen, kümmert euch um die Geschenke und die Blumen; Leonore übernimmt die Blumen, Ruth die Glückwunschkarten, Marianne die Geschenke. Ordnung ist das halbe Leben - woraus mag die andere Hälfte bestehen? Ich kann mir nicht helfen, Kinder, ich kann nicht traurig sein. Der Tag ist groß, er hat mir meine Frau wiedergegeben und einen Sohn geschenkt - darf ich Sie so nennen, Schrella? Ediths Bruder - sogar einen Enkel hab ich bekommen, wie, Hugo? ich kann mich noch nicht entscheiden, dich wirklich Enkel zu nennen, du bist zwar der Sohn meines Sohnes, aber doch nicht mein Enkel; ich kann es nicht erklären; welche Stimme befiehlt mir, dich nicht Enkel zu nennen?
    Setzt euch, die Mädchen werden uns belegte Brote machen, plündert die Freßkörbe, Kinder, und werft mir nicht Leonores ordentliche Stapel durcheinander; am besten setzt sich jeder auf einen Jahrgang: nehmen Sie den Stapel A, Schrella, das ist der höchste, darf ich dir 1910 anbieten, Robert, den nächsthöheren? Joseph, du suchst dir vielleicht einen aus, 1921 ist nicht schlecht. So ist es recht, laßt euch nieder: trinken wir den ersten Schluck auf Herrn M., daß das Staunen in seinem Gesicht sich nicht verlieren möge - den zweiten Schluck auf meine Frau: möge Gott ihr Gedächtnis segnen. Bitte, Schrella, würden Sie einmal nachschauen, wer da an die Tür klopft? Ein gewisser
    Herr Gretz wünscht mir seine Aufwartung zu machen? Ich
    hoffe, er schleppt nicht den Keiler auf dem Rücken an? Nein? Gott sei Dank. Bitte, sagen Sie ihm, lieber Schrella, daß ich nicht für ihn zu sprechen bin; oder würdest du meinen, Robert, dies wäre der Tag und die Stunde, einen gewissen Herrn Gretz zu empfangen? Nein, nicht wahr? Danke, Schrella. Es ist der Tag und die Stunde, falschen Nachbarschaftsgefühlen zu entsagen; zwei Worte können das Leben kosten: ›Ist Sünde und Schande‹ hat die alte Frau Gretz gesagt; eine Handbewegung kann das Leben kosten, ein falsch verstandenes Augenzwinkern; ja, Hugo, bitte, gieß du Wein nach - ich hoffe, es kränkt dich nicht, wenn wir hier im Familienkreis deine erworbenen Fähigkeiten zu schätzen wissen und uns ihrer bedienen.
    Stell die großen Buketts getrost vor die Ansicht von Sankt Anton, die kleineren rechts und links daneben, auf den Bord für die Zeichenrollen; nimm die Rollen herunter und wirf sie weg; sie sind alle leer und dienen nur der Dekoration - oder ist vielleicht einer unter uns, der das kostbare Papier noch zu nutzen gedenkt? Du vielleicht, Joseph! Warum sitzt du so unbequem? Du hast dir den Jahrgang 1941 ausgesucht, einen mageren Jahrgang, Junge. 1945 wäre besser gewesen, da regnete es Aufträge, fast wie im Jahr 1909, aber ich hab's drangegeben, Junge. Das Sorry verdarb mir die Lust am Bauen. Ruth, stapele du die Glückwunschadressen auf meinen Zeichentisch, ich werde Danksagungen drucken lassen, und du wirst mir helfen, die Adressen zu schreiben, ich kauf dir was Schönes dafür, bei Helene Horuschka; wie müßte der Text der Danksagung lauten:
    ›Für die anläßlich meines achtzigsten Geburtstages erwiesenen Aufmerksamkeiten spreche ich hiermit meinen innigsten Dank
    aus.‹ Vielleicht werde ich jeder Danksagung eine Handzeichnung beilegen, was hältst du davon, Joseph? Einen Pelikan, oder eine Schlange - wie war's mit einem Büffel - bitte, Joseph, jetzt geh du einmal an die Tür, schau nach, wer so spät noch kommt.
    Vier Angestellte des Cafe Kroner? Bringen ein Geschenk, von dem du glaubst, daß ich es nicht abweisen sollte? Gut, dann herein mit ihnen.«
    Sie trugen es vorsichtig zur Tür herein, zwei Kellner und die beiden Mädchen vom Küchenbüfett, ein viereckiges Brett, viel länger als breit, mit einem schneeweißen Leintuch bedeckt; der Alte erschrak: brachten sie eine Leiche? War das, was da spitz wie ein Stock das weiße Tuch straffte, die Nase; vorsichtig trugen sie es, als wäre der Leichnam ein kostbarer; vollkommene Stille herrschte; Leonores Hände erstarrten im Arrangieren eines Buketts, Ruth hielt eine goldumränderte Glückwunschkarte, Marianne setzte den leeren Korb nicht ab.
    »Nein, nein«, sagte der Alte leise, »bitte stellen Sie es nicht auf
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