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Beast

Beast

Titel: Beast
Autoren: Ally Kennen
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der Betreuer zu Kleinholz gemacht und ist auf den einen mit dem Messer losgegangen. Er hat Drogen genommen. Ich habe gehört, dass er inzwischen sitzt. Dabei ist er bloß zwei Jahre älter als ich.
    Alan Granger hat bestimmt auch in meinem Zimmer geschlafen, in meinem Bett. Bei der Vorstellung könnte ich reihern. Ob die Bilder auch von ihm sind? Eher nicht. So was traue ich ihm nicht zu. Andererseits weiß man ja nie, stimmt’s?
    Wenn ich irgendwo neu hinkomme, sehe ich mich als Allererstes gründlich um, damit ich weiß, wo ich gelandet |39| bin und von wo vielleicht Gefahr droht. Ich werde irre, wenn ich nicht weiß, was hinter der Wand vorgeht. Ich kann nicht schlafen, ehe ich nicht die Nase in jedes Zimmer gesteckt habe. Mein Zimmer ist das kleinste im ganzen Haus. Es liegt gleich an der Treppe. Zwischen mir und Robert ist das Bad, dann kommt Carols Zimmer und dann, ganz am Ende vom Flur, das Zimmer von Jimmy und Verity. Sie haben ein Riesenzimmer mit Erkerfenster, begehbarem Schrank und einem eigenen Bad, das von oben bis unten mit kleinen blauen, glänzenden Fliesen gekachelt ist. Mein Zimmer ist eigentlich gar nicht so schlecht, aber hier haben schon hundert Pflegekinder geschlafen. Das riecht man. Es riecht nach Urin und Angst. Lauter kleine Bettnässer haben auf den Teppich gepinkelt. Lauter verwahrloste Gören haben heimlich eine geraucht. Das Kopfkissen ist klumpig von nächtlichen Heularien, die Tapete billige, hässliche Raufaser. An der Wand, verdeckt durch das Kopfteil vom Bett, sind lauter Graffiti.
CAVE
hat jemand hingekritzelt, wahrscheinlich eine Musikgruppe. Nie gehört. Sonst ist alles voller Zeichnungen, so was wie Karikaturen. Sämtliche Mitglieder der Reynolds-Familie. Ich habe die Zeichnungen gleich am ersten Abend entdeckt und wusste sofort Bescheid.
    Erstens Jimmy. Auf der Zeichnung lächelt er, aber im Kopf über den Augen hat er einen großen leeren Kreis. Verity hat zwei Köpfe. Der eine gehört einer gütigen Dame mit langen Haaren und blauen Augen, der andere einem Weibsbild mit starrem Blick und Schlangen statt Haaren. Robert ist ein Zwerg. Ein Riesenpimmel baumelt ihm aus der Hose und er ist gerade dabei, seinen Teddybären |40| zu erhängen. Die Zeichnung von Carol ist besonders scheußlich. Gruselig. Ich sehe sie mir nicht gerne an. Der Zeichner hat einem Spinnenleib mit langen, behaarten Beinen, der mitten in einem Spinnennetz hockt, ein Kleinmädchengesicht verpasst. Um die Spinne rum sind lauter eingesponnene Leichen und sie lächelt unschuldig. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie ich ausgeflippt bin, als ich die Bilder entdeckt habe. Ich habe versucht, sie einfach zu vergessen. Ich wollte der Familie eine Chance geben. Aber die Bilder sind mir immerzu nachgegangen. Über dem Bett ist die Wand schmuddelig. Kann sein, dass die Zeichnungen schon zehn Jahre oder noch älter sind. Vielleicht sind sie aber auch erst kurz vor meiner Ankunft entstanden. Ich habe keine Ahnung, aber sie haben meine Vorstellung von den Reynolds beeinflusst, ehe ich mich überhaupt richtig mit ihnen unterhalten habe. Mir ist nicht wohl dabei, dass die Zeichnungen direkt neben meinem Kopf sind, wenn ich schlafe, aber ich kann das Bett nicht woanders hinschieben, denn dann sieht man die Bilder und alle denken, sie wären von mir.
    Ich sitze auf meinem Bett, am Fußende, und lese den Brief. Ich lese ihn zweimal hintereinander. Ich geb’s zu, beim Lesen bin ich nicht der Schnellste. Wenn man so oft die Schule wechselt wie ich, ist es schwer, sich aufs Lernen zu konzentrieren. Die Einzige, die sich mit mir richtig Mühe gegeben hat, war Mrs Denny, meine erste Pflegemutter. Zwei Jahre war ich bei ihr und sie hat mir das Nötigste beigebracht. Bei ihr musste ich immer solche abgefahrenen kleinen Geschichten lesen. Inzwischen geht es ganz gut mit dem Lesen, es dauert halt. Wenn ich bei |41| Mrs Denny geblieben wäre, würde ich jetzt vielleicht Shakespeare und solches Zeug lesen. Aber das sollte nicht sein und darum kämpfe ich mich jetzt durch eine Seite Geschreibsel von meiner Betreuerin.
    Ich lasse den Brief auf die Bettdecke fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen.
    Ein Monat. Nicht länger. Danach hat mir das Amt einen Platz im St. Mark’s organisiert. Das ist ein echt übles Wohnheim in der Stadt, wo es andauernd Polizeirazzien und Messerstechereien gibt. Vom St. Mark’s ist es nur ein kleiner Schritt, bis man in der Gosse landet. In einem Monat bin ich mutterseelenallein auf der Welt und
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