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Bartimäus 02 - Das Auge des Golem

Titel: Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
Autoren: Jonathan Stroud
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Zauberer in seinem Umfeld mit ihren Schrullen und ihrem ewigen Gezänk längst nicht an den Tag legten. Nathanael hatte sich ihr beinahe ein bisschen verwandt gefühlt, und jetzt tat es ihm fast Leid, dass sie nicht mehr lebte.
    Der Dschinn lief schweigend hinter ihm her. Er schien ebenfalls nachzudenken und keine große Lust zu haben, sich mit ihm zu unterhalten. Nathanael zuckte die Achseln. Was für seltsamen, bösen Tagträumen ein Dschinn wohl nachhängen mochte? Lieber gar nicht nachfragen.
    Beim Laufen zermalmten sie kleine Lehmbrocken unter ihren Sohlen. Der Golem löste sich zusehends auf, schon jetzt war seine Kruste ganz bröckelig und uneben. Er bewegte sich nicht langsamer fort als sonst, aber er ging etwas vorgebeugt, als würde er mit jedem Augenblick älter und gebrechlicher.
    Bartimäus’ Prophezeiung, der Golem werde einiges Aufsehen erregen, bestätigte sich von Minute zu Minute mehr. Inzwischen waren sie auf der Southwark High Street mit ihren Marktbuden, Kleiderläden und allerlei heruntergekommenen kleinen Betrieben. Beim Anblick des unbeirrt einhermarschierenden Riesen stoben die Gewöhnlichen wie eine verstörte Viehherde schreiend davon. Die Leute flohen in Geschäfte und Hausflure, brachen in ihrer Panik Türen auf und schlugen Fensterscheiben ein; ein paar besonders schlanke Exemplare verkrochen sich in Gullyöffnungen, andere erklommen Straßenlaternen. Nathanael lachte in sich hinein. Es tat ihm nicht im Mindesten Leid, solchen Aufruhr zu verursachen. Es konnte den Gewöhnlichen nur gut tun, aus ihrer dumpfen Selbstzufriedenheit ordentlich aufgerüttelt zu werden. Sollten sie ruhig mal mit eigenen Augen sehen, vor welchen Gefahren die Regierung sie beschützte, und endlich begreifen, dass überall bösartige Magie lauern konnte. Dann kamen sie hoffentlich in Zukunft nicht mehr so leicht in Versuchung, Fanatikern wie diesen Widerständlern Gehör zu schenken.
    Ein ganzes Geschwader rot leuchtender Kugeln erschien über den Dächern. Nathanael setzte sogleich eine ernste Miene auf und besah sich mit einem Ausdruck überlegenen Mitgefühls die verwüsteten Marktstände und das verängstigte Volk.
    »Deine Freunde beobachten uns«, stellte der Dschinn fest. »Glaubst du, sie sind erfreut?«
    »Eher neidisch.«
    Als sie sich hinter dem Bahnhof Lambeth westwärts wandten, war der Golem schon reichlich zerbröselt und schwankte beim Laufen. Ein großer, feuchter Lehmbatzen, ein Finger vielleicht, fiel ab und klatschte auf den Boden.
    Vor ihnen lag die Westminster Bridge. Inzwischen stand so gut wie fest, dass ihr Ziel Whitehall war. Nathanael versuchte, sich vorzustellen, was ihn dort erwartete. Beim Herrn des Golem musste es sich um einen ziemlich hochrangigen Zauberer handeln, und zwar um einen, der von seiner Reise nach Prag gewusst und ihm den Söldner auf den Hals gehetzt hatte. Andere Anhaltspunkte hatte er nicht. Aber des Rätsels Lösung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    Gladstones Zauberstab lag gut in der Hand. Er stützte sich schwer darauf, denn ihm tat immer noch alles weh, und betrachtete ihn zwischendurch immer wieder beinahe liebevoll. Dass er den Stab wiederbeschafft hatte, war eine schallende Ohrfeige für Duvall und die anderen. Makepeace würde mit dem Ausgang der Angelegenheit mehr als zufrieden sein.
    Ihm kam ein anderer Gedanke. Was mochte jetzt mit dem Stab geschehen? Vermutlich wanderte er ins Depot der Regierung, bis ihn eines Tages irgendwer benutzen wollte. Aber wer war seinen Kräften tatsächlich gewachsen? Wer außer ihm selbst, Nathanael? Schließlich wäre es ihm gleich beim ersten Versuch um ein Haar gelungen, den Stab fachgerecht zu aktivieren, und das, obwohl er es lediglich mit improvisierten Zauberformeln probiert hatte. Wenn er mehr Zeit hätte, sich ihm zu widmen, würde er ihn mit Leichtigkeit bändigen. Und dann…
    Er seufzte. Zu schade, dass er ihn nicht behalten durfte!
    Trotzdem, wenn er erst wieder in Devereaux’ Gunst stand, war alles möglich. Nur Geduld. Bloß nichts überstürzen.
    Jetzt stieg die Straße zwischen zwei Wachtürmen aus Glas und Beton zur Westminster Bridge hin an. Hinter der Brücke lag das Parlamentsgebäude. Die Themse glitzerte im Morgenlicht, kleine Boote trieben in der Strömung. Etliche Touristen sprangen beim Anblick des Golem über das Brückengeländer und plumpsten ins Wasser.
    Der Golem marschierte weiter, mit hängenden Schultern und verstümmelten Gliedmaßen, von denen immer mehr Lehmklumpen
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