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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Korridor hinaus. Ich glitt zur Schwelle der Haupttreppe. Keine Spur von Fumeros Schatten oder seinen Schritten. Er stand irgendwo reglos im Dunkeln. Geduldig. Ich zog mich wieder in den Korridor zurück und schritt die ganze Galerie der Zimmer ab bis zur Vorderfassade des Hauses. Durch ein vereistes Fenster drangen ein paar bläuliche Lichtstrahlen herein, trüb wie gestautes Wasser. Ich trat an die Scheibe und sah einen schwarzen Wagen vor dem Gittertor stehen. Es war das Polizeiauto. Zigarettenglut in der Dunkelheit verriet Palacios hinter dem Steuer. Langsam ging ich zur Treppe zurück und stieg, die Füße unendlich behutsam aufsetzend, Stufe um Stufe hinunter. Auf halbem Weg blieb ich stehen und spähte in die Dunkelheit, in die das Erdgeschoß gehüllt war.
    Fumero hatte nach dem Eintreten die Tür offengelassen. Der Wind hatte die Kerzen ausgeblasen und trug Schneegestöber herein. Im Gewölbe tanzte das gefrorene Laub und schwebte in dem schwachen Licht, das die Ruinen des Hauses andeutete. Die Wand entlangtastend, stieg ich vier weitere Stufen hinunter. Schwach erkannte ich einen Schimmer der Glastür zur Bibliothek. Fumero sah ich noch immer nicht. Ich fragte mich, ob er wohl in den Keller oder in die Krypta hinuntergegangen war. Der hereindringende Schneestaub verwischte seine Spuren. Ich schlich mich an den Fuß der Treppe und warf einen Blick in den Korridor, der zum Eingang führte. Der eisige Wind peitschte mir ins Gesicht. Im Dunkeln erkannte man schwach die Klaue des Engels im Brunnen. Ich schaute in die andere Richtung. Vom Fuß der Treppe bis zum Eingang zur Bibliothek waren es etwa zehn Meter. Der Vorraum lag im Dunkeln. Mir war klar, daß Fumero wenige Meter von mir entfernt stehen und mich beobachten konnte, ohne daß ich ihn sah. Ich holte tief Luft und tastete mich mit angehaltenem Atem bis zur Bibliothek vor.
    Der große ovale Raum lag in schwachem, dunstigem Licht, das der vor den Fenstern fallende Schnee mit Schattenpunkten sprenkelte. Ich spähte die nackten Wände nach Fumero ab, der möglicherweise beim Eingang stand. Knapp zwei Meter rechts von mir ragte ein Gegenstand aus der Wand. Ein Messer, vielleicht ein zweischneidiger Dolch, der ein Rechteck aus Karton oder Papier aufspießte. Ich trat hinzu und erkannte das an die Wand gedolchte Bild – ein zweiter Abzug des halb verbrannten Fotos, das ein Fremder auf dem Ladentisch der Buchhandlung liegengelassen hatte. Darauf lächelten Julián und Penélope als Teenager einem Leben zu, das schon verwirkt war, ohne daß sie es wußten. Die Klinge steckte in Juliáns Brust. Da ging mir auf, daß damals nicht Laín Coubert oder Julián Carax das Foto als Einladung zurückgelassen hatte. Es war Fumero gewesen und das Bild ein vergifteter Köder. Ich griff danach, um es vom Messer zu reißen, als mich die eiskalte Berührung von Fumeros Revolver im Nacken erstarren ließ.
    »Ein Bild taugt mehr als tausend Worte, Daniel. Wäre dein Vater nicht so ein Scheißbuchhändler, hätte er dir das längst beigebracht.«
    Langsam drehte ich mich um und sah mich dem Revolverlauf gegenüber. Er stank nach frischem Pulverdampf. Fumeros leichenblasses Gesicht grinste in einer verkrampften Grimasse.
    »Wo ist Carax?«
    »Weit weg. Er wußte, daß Sie ihn holen würden, und ist gegangen.«
Fumero schaute mich an:
»Ich blas dir den Kopf weg, Kleiner.«
»Das wird Ihnen nicht viel nützen. Carax ist nicht hier.«
»Mach den Mund auf«, befahl Fumero.
»Wozu?«
»Mach den Mund auf, oder ich schieß ihn dir auf.«
Ich öffnete die Lippen, und er schob mir den Revolver hinein. Ich spürte, wie mir Übelkeit den Hals heraufkroch. Fumeros Daumen spannte den Schlagbolzen.
»Und jetzt denk drüber nach, du Stück Scheiße, ob du einen Grund zum Weiterleben hast. Na?«
Ich nickte langsam.
»Dann sag mir, wo Carax ist.«
Ich versuchte zu stottern. Gemächlich zog er den Revolver zurück.
»Wo ist er?«
»Unten. In der Krypta.«
»Du führst mich. Du sollst dabeisein, wenn ich diesem Dreckskerl erzähle, wie Nuria Monfort geschrien hat, als ich ihr das Messer in die …«
Die Gestalt erschien aus dem Nichts. Über Fumeros Schulter spähend, glaubte ich eine Silhouette ohne Gesicht, aber mit glühendem Blick in absoluter Stille auf uns zugleiten zu sehen, als berührte sie kaum den Boden. Fumero las in meinen tränennassen Augen den Reflex, und wie in Zeitlupe geriet sein Gesicht aus den Fugen.
Als er herumschnellte und in die ihn umhüllende Dunkelheit schoß, hatten zwei
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