Bangkok Tattoo
schüchtern war. Er und Mitch steckten die Köpfe zusammen über einem dicken Skizzenblock, den der Tätowierer für den amerikanischen Agenten zusammengestellt hatte. Offenbar waren Mitchs Anweisungen ziemlich detailliert. Das horimono sollte ein großes, seinen Rücken von den Schultern bis zu den Hüften bedeckendes Einzelwerk werden. Ishy arbeitete rasend schnell; er war in der Lage, elegante Entwürfe in Windeseile zu fertigen. Chanya hatte noch nie zuvor einen der Kunst mit ganzer Leidenschaft verfallenen Mann gesehen. Obwohl sie ihn abscheulich fand, bewunderte sie seine fanatische Konzentration und sah gebannt zu, wie er das erste Mal eine lange schwarze Lackschachtel etwa von der Größe eines Flötenkästchens aufklappte. Würde dieser Mann den Körper einer Frau je mit der gleichen Ehrfurcht behandeln wie seine tebori, jene etwa dreißig Zentimeter langen polierten Tätowiernadeln aus Bambus?
Nach den Entwürfen auf Papier folgte die Arbeit am Computer. Ishy hatte eine Digitalkamera und einen Sony Micro Vault mitgebracht, mit dessen Software er ein Gitter über das Mitch-Turner-Foto legen konnte. Danach übertrug er dieses Gitter sorgfältig auf den Rücken des Amerikaners und fertigte die Konturen mit einer westlichen Tätowierpistole. Schon bald hing der Geruch von frisch gemischter sumi- Tintein der Wohnung, den Chanya weder als angenehm noch als unangenehm empfand, sondern schlicht für japanisch hielt. Mitch ertrug die Stiche der langen tebori -Nadeln, die Ishy, über ihm sitzend, wie einen Meißel handhabte, stoisch auf dem Bauch liegend.
Doch es gab ein Problem: Nüchtern fiel es Mitch schwer, sich stundenlang nicht zu bewegen; die Langeweile ertrug er nicht. Ishy, der sich sein Meisterwerk nicht durch amerikanische Ungeduld ruinieren lassen wollte, reagierte gereizt. Die Lösung lag auf der Hand: Mitch würde vor jeder Sitzung ein paar Pfeifen Opium rauchen, so daß er acht Stunden lang ruhiggestellt wäre und Ishy den Auftrag statt in zwei in einer Woche erledigen könnte.
Während Ishy arbeitete, durfte Chanya nicht in Mitchs Schlafzimmer, das jetzt als Atelier diente. Dafür mußte sie immer eine Flasche Sake warm halten, das einzige, was der Künstler beim Tätowieren zu sich nahm. Irgendwie amüsierte es sie, daß Ishy alle paar Stunden aus dem Zimmer herauskam, einen Schluck trank und dann wieder verschwand, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Inzwischen hatte sie begriffen, daß das kein schlechtes Benehmen war, sondern das Verhalten eines wilden, ungezähmten Tieres aus dem Cyberdschungel. Um ihre Theorie zu überprüfen, stellte sie sich eines Tages oben ohne in die Küche. Als der Künstler heraustrat, sich stärkte und wieder an seine Wirkungsstätte zurückkehren wollte, bemerkte er nur kurz an der Tür, daß sich auf ihrer Haut ein horimono gut machen würde – vielleicht ein blauer Delphin über ihrer linken Brust?
»Delphine sind altmodisch«, spottete Chanya, als er wieder herauskam. Er brummte nur etwas, doch bei seinem nächsten Besuch in der Küche brachte er die schönste Delphinzeichnung mit, die sie je gesehen hatte, und von nun an arbeitete Ishy in den Pausen, die er sich von dem Werk auf Mitchs Rücken gönnte, an dem Motiv auf ihrer Brust. Die Sanftheit seiner Berührungen überraschte sie, und es war ihr peinlich, daß ihre Brustwarzen hart wurden. Sie hatte nicht gewußt, wie erotisch männliche Leidenschaft sein konnte, wenn sie den Sex transzendierte. Oder wie flüchtig. Deshalb übertrieb sie manchmal das Jammern über den Schmerz. Er wies sie an, ihren linken Busen mit der Hand zu stützen. »So weh tut das nicht«, sagte er. »Nur die Region um die Brustwarzen ist sehr empfindlich; sonst handelt es sich hauptsächlich um Fettgewebe.«
Am Ende der Woche war Mitchs Tattoo fertig, und sie und Ishy hatten miteinander geschlafen. Tja, Prostituierte sind in ihren sexuellen Vorlieben bisweilen exzentrisch – ich weiß, wovon ich spreche. Sie schämte sich, Mitch zu betrügen, aber was sollte sie machen? Mitch war ein Sklave seiner zahllosen Regeln und Vorschriften, die meisten davon widersprüchlich; Ishy hingegen präsentierte sich ihr als etwas Wildes, gänzlich Regelloses. Sie hatte nie einen sexuell reizvolleren Mann kennengelernt. Und dann war da noch sein donburi, diese unverschämte Herausforderung an das Universum. Seine geschändete Haut, die sie zu Beginn der Woche noch abgestoßen hatte, übte am Ende eine fast hypnotische Wirkung auf sie aus. Als
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