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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne
Autoren: Taavi Soininvaara
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Flur entlang, bis er den überladenen Tisch seines Arbeitsplatzes erreichte und sich auf den Stuhl fallen ließ. Hatte er etwa dafür Jura studiert und dann jahrelang rund um die Uhr fleißig gearbeitet? Und wenn er nun bei diesem Auftrag versagte, der nicht von General Korolkow, sondern von noch weiter oben kam?
    Man sollte sich über Kleinigkeiten nicht beklagen, dachte Jarkow und trank seinen kalt gewordenen Tee. Er verdiente beim FSB nicht schlecht, und die geldwerten Vorteile waren angenehm. Wenn es ihm gelänge, den verschwundenen Finnen und das »Schwert des Marschalls« zu finden, könnte es gut sein, dass er befördert wurde. Dann wäre er imstande, Valentina das Eigenheim an der Borowskoje Chaussee zu kaufen. Sein gegenwärtiges Gehalt reichte dafür nicht aus, weil Valentina beschlossen hatte, wegen Mischa zu Hause zu bleiben. Irgendetwas musste ihm einfallen, und zwar bald, sie konnten nicht endlos lange mit Valentinas Elternzusammen in einer Zweizimmerwohnung von fünfzig Quadratmetern wohnen.
    Jarkow griff widerwillig nach dem obersten Ordner des Stapels auf seinem Tisch. Die Aufgabe erschien übermächtig. Er verbrachte in dem Archiv schon Tage damit, die Hinweise auf Finnland zu prüfen, die seine Mitarbeiter gefunden hatten. Aber kein einziger hatte neue Informationen zum »Schwert des Marschalls« enthalten. Durch die Ordner des FSB und seiner kurzlebigen Vorgänger FSK, MB und AFB hatte er sich schon bis zum Jahr 1991 zurück gekämpft, nun wollte er in das Meer der Informationen eintauchen, die der KGB in seiner fünfundvierzigjährigen Geschichte gesammelt hatte.
    Die Stunden flossen dahin, und Jarkows Augenlider wurden immer schwerer. Die Stille war so vollkommen, dass er das Ticken seiner Armbanduhr und seinen eigenen Puls hörte. Er öffnete eine neue Mappe, warf einen kurzen Blick auf den Stempel »UNITSCHTOSCHEN« (zu vernichten) und wurde etwas munterer, als er sah, dass die nächste Eintragung aus dem Frühjahr 1983 vom KGB-Chef Viktor Tschebrikow stammte.
    »Kekkonen, Urho Kaleva. Präsident Kekkonen ließ mich Auszüge aus einer Kopie des Dokuments › Schwert des Marschalls

lesen und verbrannte sie dann. Kekkonen versicherte, es gebe von dem Dokument keine anderen Kopien, und ich glaubte es ihm – Präsident Kekkonen hat im Verlauf der Jahrzehnte wiederholt seine Zuverlässigkeit bewiesen. Ich habe Generalsekretär Andropow über den Inhalt des Dokuments unterrichtet. Niemand weiß, wo oder bei wem sich das Original befindet.«
    Jarkow knallte die Mappe auf den Tisch und fuhr sich durch die Haare. Warum zum Henker verriet auch Tschebrikow mit keinem Wort, was das »Schwert des Marschalls« enthielt? Schritte klapperten auf dem Flur, das Geräusch kam immer näher und sorgte dafür, dass sich Jarkow aufseinem Stuhl aufrichtete. Er tat so, als wäre er in die Unterlagen vertieft, wiegte aber den Kopf im Rhythmus der Hüften von Leutnant Olga Gusarowa.
    »Herr Major. Uns ist in Finnland ein Durchbruch gelungen, wir haben Otto Forsmans Anwältin gefunden«, verkündete Olga Gusarowa, und auf Jarkows Gesicht erschien ein Lächeln, das verriet, wie erleichtert er war.

5
    Helsinki, Montag, 7. August
    Der viel zu schnell dahinrasende Zug schwankte heftig, und Arto Ratamo wusste, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Er stieß mit dem Kopf gegen das Abteilfenster und sah den Fluss, der tief unten schimmerte und sich am Grunde der Schlucht dahinschlängelte. Plötzlich spürte er, wie der Zug entgleiste. Einen Augenblick schwebte er in der Luft, dann begann der Absturz. Im Fallen wurde der schwere Stahlkoloss noch schneller, der Boden kam immer näher, gleich würde der Zug aufprallen, Panik bohrte sich in seinen Kopf wie …
    »Ist alles in Ordnung, mein Junge?« Jussi Ketonen verpasste Ratamo, der sich im Bett hin und her wälzte, eine kräftige Ohrfeige. »Der Kerl schläft mitten am Tag, und im Zimmer stinkt es wie im Nachtquartier der Heilsarmee.«
    Ratamo gelang es, ein Auge einen Spalt zu öffnen; er richtete den Oberkörper auf und versuchte die Zunge zu lösen, die am Gaumen klebte. Die Zigarillos vom Vorabend hatten im Mund einen Geschmack wie Schlacke und in den Schläfen ein Hämmern hinterlassen. Bilder schossen ihm durch den Kopf: Der Schmutzweitwurf beim Absurden Fünfkampf, das Wortgefecht, das Lapa Väisälä in der Kneipe vom Zaun gebrochen hatte …
    »Was zum Teufel ist denn los? Du müsstest doch mit Nelli und Marketta im Ferienhaus sein«, murmelte Ratamo.
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