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Anne Gracie

Anne Gracie

Titel: Anne Gracie
Autoren: Zarte Küsse der Sehnsucht
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des
Ha­fens, in einen Teil Lon­d­ons, in dem er nie zu­vor ge­we­sen war. Die Stra­ßen
wa­ren eng und schmut­zig, vol­ler Bett­ler, Dir­nen und zer­lump­ter Kin­der. Die
Häu­ser wa­ren alt und schief, als wä­ren sie wie Schim­mel­pil­ze aus dem Bo­den
ge­wach­sen und nicht von Men­schen­hand ge­baut wor­den; sie wirk­ten ärm­lich,
schä­big und ab­sto­ßend.
    Har­ry hat­te
große Städ­te schon im­mer ge­hasst, und die­ses fins­te­re Vier­tel be­stä­tig­te all
sei­ne Vor­be­hal­te. Großer Gott, wie konn­te man hier bloß le­ben?
    Und wie
konn­te je­mand ein Ba­by hier­her brin­gen?
    „Ein
schreck­li­cher Ort, Sir“, sag­te Evans, als hät­te er Har­rys Ge­dan­ken
ge­le­sen. „Mei­ne Mut­ter lebt in Wa­les, sonst hät­te ich das Klei­ne zu ihr
ge­bracht. Mei­ne Mut­ter liebt Kin­der; sie hat selbst acht, wis­sen Sie.“
    Er führ­te
Har­ry tiefer in das Ge­flecht von sich kreu­zen­den Stra­ßen und zeig­te
schließ­lich in ei­ne schma­le Gas­se. „Dort ist es.“
    Es war zu
eng, um hin­durch­rei­ten zu kön­nen. „War­ten Sie hier und pas­sen Sie auf die
Pfer­de auf“, bat Har­ry. „Wel­ches Haus?“
    „Das
letz­te, ganz am En­de der Gas­se, wo es nicht mehr wei­ter­geht. Neh­men Sie die
Trep­pe bis in den obers­ten Stock, es ist die grü­ne Tür.“ Er warf Har­ry
einen iro­ni­schen Blick zu. „Fra­gen Sie nach ,Mut­ter`.“
    Im Haus
stank es
fürch­ter­lich. Har­ry ver­such­te, nicht all­zu tief ein­zuat­men, stieg die mor­sche
Trep­pe hin­auf und klopf­te an die grü­ne Tür.
    Sie öff­ne­te
sich einen klei­nen Spalt und ein Au­gen­paar mus­ter­te ihn. „Is'n Gent­le­man,
Mum.“
    „Lass
se­hen.“
    Ein zwei­tes
Au­gen­paar er­setz­te das ers­te, dann ging die Tür ein Stück wei­ter auf. Ei­ne
di­cke schmut­zi­ge Frau in ei­nem tief aus­ge­schnit­te­nen Kleid be­gut­ach­te­te Har­ry
von Kopf bis Fuß und zog dann ih­ren Aus­schnitt noch ein we­nig wei­ter nach
un­ten. „Was kann ich für Sie tun, mein Hüb­scher?“ Sie roch nach Gin.
    Har­ry
dreh­te sich bei­na­he der Ma­gen um. „Ich möch­te mit ,Mut­ter` spre­chen, we­gen
ei­nes Ba­bys“, sag­te er kühl.
    Die Frau
lach­te hä­misch. „Da sind Sie hier ge­nau rich­tig, Schätz­chen. Ich bin Mut­ter,
und wir ha­ben hier je­de Men­ge Ba­bys.“ Sie trat zu­rück und wink­te ihn her­ein.
    Der Bo­den
war be­deckt mit al­len mög­li­chen Be­häl­tern; es gab Fisch­kis­ten, Ei­er­kar­tons,
ei­ne de­ckel­lo­se Tru­he, so­gar ein paar al­te Schub­la­den – al­les, was man als
Bett­chen für ein Ba­by be­nut­zen konn­te. Die Be­häl­ter wa­ren mit Stroh aus­ge­legt
und in je­dem lag ein Kind, in man­chen so­gar zwei.
    Har­ry
zü­gel­te sei­nen Zorn. Er war nur we­gen ei­nes ein­zi­gen Kin­des hier, we­gen To­rie,
aber spä­ter wür­de er et­was ge­gen die­sen Ort un­ter­neh­men.
    „Was für
eins wol­len Sie denn, Schätz­chen? Die da sind nicht zu ha­ben, ih­re Ma­mas sind
beim Ar­bei­ten.“ Sie mach­te ei­ne weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung.
    Kei­ne
Mut­ter wür­de ihr Kind in ei­ner sol­chen Um­ge­bung zu­rück­las­sen, es sei denn, sie
ist rest­los ver­zwei­felt, dach­te Har­ry.
    „Mut­ter“
zeig­te in ei­ne an­de­re Rich­tung. „Die Wai­sen­kin­der sind da drü­ben. Su­chen Sie
sich eins aus.“
    Großer
Gott, sie wur­den zum Ver­kauf an­ge­bo­ten! „Ich su­che nach ei­nem Ba­by, ei­nem
Mäd­chen, das ge­gen Mit­te, En­de Ok­to­ber her­ge­bracht wor­den ist“, er­klär­te
er steif. „Es lag in ei­nem mit weißem Sa­tin aus­ge­klei­de­ten Korb.“
    „Ach ja,
ich er­in­ne­re mich an den Korb. Ha­ben wir nicht mehr.“ Ihm lief ein kal­ter
Schau­er über den Rücken. „Sie mei­nen, es ist ge­stor­ben?“
    Die Frau
lach­te wie­hernd, als hät­te er einen groß­ar­ti­gen Scherz ge­macht. „Gott seg­ne
Sie, Sir! Nein, wir ha­ben den Korb und ih­re hüb­schen An­ziehs­a­chen ver­kauft. Die
Klei­ne ist dort hin­ten.“ Sie zeig­te auf den Be­reich mit den Wai­sen­kin­dern.
„Til­da, zeig dem Gent­le­man dein klei­nes Püpp­chen.“
    Ei­ne jun­ge
Frau von of­fen­bar schlich­tem Ge­müt führ­te Har­ry in ein an­gren­zen­des Zim­mer, in
dem drei Kis­ten stan­den. „Das da sind zwei Jun­gen
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