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Als die erste Atombombe fiel

Als die erste Atombombe fiel

Titel: Als die erste Atombombe fiel
Autoren: Ravensburger
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zunächst heil überstanden zu haben schien, zehn Jahre später jedoch plötzlich erkrankte. Im Hospital stellten die Ärzte eine Leukämie fest. Sadako verlor dennoch nicht ihren Mut. Sie sagte, sie wolle 1000 kleine Kraniche aus Papier falten, denn das bringe Glück. So fing sie an, einen bunten Kranich nach dem anderen zu formen. Als sie den 643. Kranich gefaltet hatte, starb Sadako. 16
    Auf dem Rückweg durch den Park begegne ich nur noch wenigen Besuchern. Ein Mann hat sich auf einer Bank schlafen gelegt. Eine junge Mutter versucht, auf einem der asphaltierten Wege ihrem Kind das Fahrradfahren beizubringen. Alltag im Friedenspark von Hiroshima.
    Schließlich besichtige ich das Atombomben-Museum, das gleich am Eingang zum Friedenspark errichtet wurde. Die friedliche Atmosphäre ändert sich mit einem Schlag. Auf den Gesichtern der Schulkinder, die wenige Minuten zuvor noch ungezwungen und fröhlich waren, zeigen sich Betroffenheit und Bestürzung. Das entsetzliche, das unbeschreibbare Grauen vom 6. August 1945 – in diesem Museum ist etwas davon festgehalten, wird in Ausschnitten jedenfalls begreifbar. Auch ich kann mich der Wirkung des Gezeigten nicht entziehen; diese grauenhaften Fotos mit den entstellten Gesichtern, diese zu Klumpen verbrannten Leiber, diese Gegenstände des Alltags, die zu bizarren, archaischen Formen verglühten, diese Reliquien des Infernos, das die Menschen von Hiroshima heimsuchte. Zugleich steigt eine ohnmächtige Wut in mir auf und ich wünsche allen Atombomben-Befürwortern den Anblick dieser Bilder und Gegenstände.
    Am nächsten Tag bin ich mit ehemaligen »Kindern der Atombombe« verabredet, die für Professor Osada ihre Erfahrungen und Erlebnisse aufgeschrieben haben. Wir treffen uns in der Gedächtnishalle am Friedenspark. Es werden die schwierigsten Gespräche, die ich bislang überhaupt geführt habe. Wie weit darf ein Außenstehender die Leiden anderer Menschen erfragen, vernarbte Wunden aufrühren, mit den handwerklichen Mitteln eines Journalisten traumatische Seelenzustände und Ängste erforschen? An einigen Stellen hätte ich die Begegnung am liebsten abgebrochen, weil ich spürte, wie meine Fragen den heute erwachsenen »Kindern von Hiroshima« zu schaffen machten. Sie waren zwar bereit und willens zu antworten, aber wenn die Erinnerungen wieder lebendig wurden, kehrten auch die Ängste zurück. Nirgendwo sonst wurde mir so deutlich wie hier bewusst, dass die furchtbaren Ereignisse von vor 37 Jahren für die Betroffenen noch so gegenwärtig sind, als seien sie gestern geschehen.
    Das äußere Bild Hiroshimas täuscht also. Die von Kommerz und Betriebsamkeit strotzende Fassade kann die anhaltenden Leiden der Opfer nicht verdecken. Dies bekomme ich auch an den folgenden Tagen bestätigt, als ich das Atombomben-Krankenhaus besuche und mit Ärzten und Patienten spreche. Immer sind es nur Splitter, kleine Ausschnitte, die ich in der kurzen Zeit zu Gesicht bekomme, aber sie lassen die Wirklichkeit erahnen, eine Wirklichkeit, die in Japan und anderswo kaum noch jemand zur Kenntnis nimmt.
    Manche Atombombenopfer bleiben ihr Leben lang Patienten, selbst wenn sie nach außen hin ein relativ normales Lebens führen. Bei dem einen stößt der Körper nach Jahren plötzlich die verpflanzte Haut wieder ab, bei dem anderen beginnen die mühsam zusammengewachsenen Sehnen wieder zu schmerzen. Andere wiederum bemühen sich verzweifelt darum, ein menschliches Gesicht zu bekommen, damit die Leute sie nicht immerzu anstarren. Sie pilgern von Chirurg zu Chirurg und manchmal vollbringen die Ärzte wahre Wunder. Aber bei vielen führen die Operationen nicht zum gewünschten Erfolg. Das gilt zum Beispiel für Senji Yamaguchi, der in Nagasaki als dienstverpflichteter Oberschüler in das atomare Feuer geriet und dessen Gesicht und Rücken verbrannt wurden. Yamaguchi hat sich der japanischen Friedensbewegung angeschlossen. Er spricht auf Versammlungen und Kundgebungen und hat keine Scheu mehr, sein zerstörtes Gesicht anderen Menschen zu zeigen. Aber das war nicht immer so. Über seine eigenen Erfahrungen sagt er:
    »Heute, im Alter von 52 Jahren, habe ich mich damit abgefunden, mit einem hässlichen Gesicht zu leben. Aber als ich das erste Mal aus dem Krankenhaus kam, nannten die Kinder mich akaoni, rotes Ungeheuer. Und nachdem ich die Oberschule abgeschlossen hatte, die mich wegen der ständigen Krankenhausaufenthalte sechs statt drei Jahre gekostet hatte, bewarb ich mich bei drei Firmen.
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