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Aber dann kam der Sommer

Aber dann kam der Sommer

Titel: Aber dann kam der Sommer
Autoren: Berte Bratt
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die registrierte Summe ist sie verantwortlich.“
    Tante Agnete verstand offensichtlich nicht das geringste von dem System einer Registrierkasse, und sie machte sich auch nicht die Mühe, es zu verstehen.
    „Jetzt fängst du auch noch an, mir zu widersprechen, Unni! Ich möchte ja gerne wissen, warum ihr alle so aufsässig gegen mich seid.“
    Ach, du lieber Himmel, wie hoffnungslos war das alles!
    Als ich herkam, war ich so erfüllt von gutem Willen und dem Wunsch, der Tante alles zu Gefallen zu tun und mich nützlich zu machen für mein Monatsgehalt als Gesellschaftsdame. Aber nun ging alles schief und quer. Von daheim kannte ich es nicht anders, als daß zwei Menschen, die sich über irgend etwas uneinig waren, sich darüber aussprachen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Konnte man auch dann nicht zu einer Einigung kommen, so ließ man die Angelegenheit ruhen und respektierte die Meinung des anderen. Dieses Prinzip hatte sich bei uns stets ausgezeichnet bewährt, und ich war so naiv zu glauben, es müsse überall anwendbar sein.
    Doch es sollten noch viele meiner Begriffe und Vorstellungen widerlegt werden. Eine Aussprache? Unmöglich! Hier galt es, zuzudecken, zu vergessen, darüberhinzureden. Bereits jetzt begann ich zu ahnen, daß der Aufenthalt bei Tante Agnete eine Pferdekur an Selbstbeherrschung werden würde. Glatt und lächelnd, höflich und formell, hübsch in Kleidung und Auftreten – so wollte sie mich haben. Sie selbst aber durfte schelten und herrschen, ihre Launen hätscheln und ihren Einfällen freien Lauf lassen. – Nun ja – vielleicht war das auch ein Vorrecht reicher Leute.
    Wir kamen zurück, ohne auf dem ganzen Weg auch nur ein einziges Wort gewechselt zu haben. Ich befreite Nipp von seinem Deckchen und den Schuhen und führte ihn an die frische Luft in den Garten. Dann war es Zeit zum Mittagessen. Diese Mahlzeit war in den ersten vier Tagen ein Ereignis für mich gewesen, vor allem wegen des vielen Silbers, des schönen Porzellans und der Tellerdeckchen für alltags. Und immer standen frische Blumen da, und es gab Rotwein in Kristallkaraffen. An sich mache ich mir nicht viel aus Rotwein, aber es sah sehr vornehm aus!
    Das Essen war gut, konservativ und solide, sehr solide sogar. Ich fühlte mich schwer und belastet nach jeder Mahlzeit. Marie, die Köchin, hatte eine Vorliebe für schwere Puddings und süße Cremespeisen. Das war ein großer Übergang für mich. Neben Ibsen gehört nämlich die gesunde Kost zu den Hobbys meines Vaters. Bei uns gibt es fast jeden Tag einen Rohkostsalat und mindestens viermal in der Woche frisches Obst zum Nachtisch. Darum sind wir alle so kerngesund. Es war also kein Wunder, daß ich mich nun nach den schweren Mahlzeiten so unbehaglich »fühlte. Ich sehnte mich nach den Rohkostsalaten – hier wurde das Gemüse fast völlirr zerkocht – , und ich sehnte mich nach einem Glas Milch. Da jedoch die Tante keine Milch trank, kam niemand auf den Gedanken, daß ich vielleicht gern welche hätte.
    Eines Tages gab es Rote Grütze mit Sahne zum Nachtisch. Ich versorgte mich so reichlich mit Sahne, wie es der Anstand nur irgend zuließ, und genoß die Vorfreude auf einen lang entbehrten Genuß.
    „Ah!“ entfuhr es mir, denn es wurde genau das Gegenteil von einem Genuß.
    „Was ist denn?“ fragte Tante Agnete, die meinen kleinen Ausruf gehört hatte, so daß ich nun notwendigerweise Rechenschaft darüber abgeben mußte.
    „Ach nein, nichts“, stotterte ich, „es war nur – aber ich meine, es macht wirklich gar nichts – nur, weißt du, die Sahne ist ja gekocht.“
    „Ja, natürlich ist sie abgekocht. Alle Milch und Sahne wird hier im Hause abgekocht.“
    „Ja – aber – kauft ihr denn keine pasteurisierte Milch?“
    „Doch, natürlich! Aber wir kochen sie trotzdem ab. In meinem Hause darf es keine rohe Milch oder Sahne geben.“
    „Aber wenn sie doch pasteurisiert ist, dann ist sie doch keimfrei, Tante Agnete.“
    Und schon waren wir wieder im Gang. Ich sprach von Pasteur, von seinen revolutionierenden Entdeckungen, von Nahrungsmittelwerten, Bazillen, Vitaminen und Kalorien… Hier war ich meiner Sache sicher, denn ich bin ja nicht umsonst Vaters Tochter. Und Tante Agnete antwortete darauf, ich sei wählerisch, weil ich keine gekochte Milch trinken mag, und es sei ihr völlig unverständlich, daß meine Eltern so etwas zugelassen hätten.
    Wieso es mir trotzdem gelang, mit der gekochten Sahne fertig zu werden, ist mir unklar. Ich würgte sie zusammen
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