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7 Werwolfstories

7 Werwolfstories

Titel: 7 Werwolfstories
Autoren: G. M. Schelwokat
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sie in Stim­mung war, konn­te Hel­ma so stür­misch und lei­den­schaft­lich wie ei­ne jun­ge Lö­win sein, aber manch­mal war sie merk­wür­dig kalt und schubs­te ihn weg, wenn er sie be­rühr­te und sie kei­ne Lust hat­te. Ro­ger hat­te sich ge­sagt, daß von al­len Le­be­we­sen nur der zi­vi­li­sier­te Mensch kei­nen zy­kli­schen Trieb hat­te, und daß Hel­mas selt­sa­me Wild­heit wahr­schein­lich nichts wei­ter war als ein Rück­fall in ei­ne frü­he­re, viel­leicht rei­ne­re Zeit. Da er trotz sei­ner ge­le­gent­li­chen Ver­är­ge­rung sei­ne Frau in­nig lieb­te, re­spek­tier­te er ih­re Stim­mun­gen, und das war auch gut so; denn ein­mal, im ers­ten Jahr ih­rer Ehe – be­vor er er­kannt hat­te, wie tief dies in Hel­mas Na­tur ver­wur­zelt war –, war er nicht so to­le­rant ge­we­sen und hat­te ver­sucht, sie ge­gen ih­ren Wil­len zu neh­men. Auf sei­ner Wan­ge war im­mer noch die schma­le wei­ße Li­nie zu se­hen, wo ih­re wil­den Fin­ger ei­ne tie­fe Fur­che ge­kratzt hat­ten. Sie hat­te spä­ter hef­tig schluch­zend sei­ne Ver­zei­hung er­fleht, aber Ro­ger hat­te es nie wie­der ris­kiert. Er wuß­te, daß bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad in der Na­tur der Frau ei­ne Pe­ri­odi­zi­tät liegt; und au­ßer­dem war sie ei­ne wun­der­ba­re Ge­lieb­te, wenn sie ge­neigt war, sich ihm zu er­ge­ben.
    In den fol­gen­den Ta­gen und Wo­chen war Hel­ma un­ge­wöhn­lich ru­hig, ge­dämpft und füg­sam. Der Som­mer ging zu En­de; die tro­ckenen Blät­ter fie­len von den wehr­lo­sen Zwei­gen, und das Pfei­fen des Herbst­win­des tön­te wie ein Kla­ge­lied durch den ver­las­se­nen Wald. Hel­ma streif­te am Tag über die un­ter Blät­tern be­gra­be­nen Wald­we­ge, aber nicht ein ein­zi­ges­mal rann­te sie nachts weg, und Ro­ger Las­si­ter be­gann sich zu fra­gen, ob sie tat­säch­lich seß­haft wur­de. Si­cher war es nach vier Ehe­jah­ren an der Zeit, daß Hel­ma end­lich wei­cher und zu­frie­de­ner aus­sah, daß ihr Kör­per et­was von sei­ner Eckig­keit ver­lor. Fröh­lich ging sie ih­rer Haus­ar­beit nach. Das Haus war im­mer or­dent­lich und sau­ber ge­we­sen, doch jetzt blitz­te es förm­lich vor Sei­fe und Wachs und ge­boh­ner­ten Fuß­bö­den, und Hel­ma selbst sah aus wie ei­ne wohl­ge­pfleg­te Kat­ze. So­gar ihr schnel­ler, tan­zen­der Gang schi­en – ob­wohl noch ge­nau­so gra­zi­ös wie frü­her – ein we­nig fes­ter und ge­bän­dig­ter ge­wor­den zu sein. Und an man­chen Aben­den, wenn Ro­ger von sei­ner Ar­beit in ei­ner che­mi­schen Fa­brik heim­kehr­te, hör­te er sie sin­gen. Mit ei­ner selt­sa­men, sum­men­den Alt­stim­me, fast oh­ne Me­lo­die, aber in prä­zi­sen rhyth­mi­schen Ka­den­zen an­stei­gend und wie­der fal­lend, die von süßem Wohl­klang wa­ren.
    Sie sag­te ihm nie­mals di­rekt, daß sie schwan­ger war. Ro­ger frag­te sie auch nicht, ob­gleich er es schon im Sep­tem­ber ver­mu­tet hat­te, weil er an­nahm, sie woll­te den Zeit­punkt da­für sel­ber wäh­len; aber sie sag­te nichts, und schließ­lich frag­te er sie nur: »Wann?«
    »Zu Früh­lings­be­ginn«, ant­wor­te­te sie und warf aus ih­ren grün­li­chen Au­gen einen halb sor­gen­vol­len Blick auf sein fro­hes Ge­sicht.
    Er sag­te sanft: »Siehst du, Hel­ma, du hast dich ge­irrt. Bist du nicht glück­lich dar­über?«
    Sie schwieg, leg­te je­doch ihr Buch bei­sei­te, hock­te sich ihm zu Fü­ßen auf den Tep­pich und barg ih­ren Kopf mit dem dich­ten, kur­z­en glat­ten Haar in sei­nem Schoß. Er strei­chel­te sie, und sie schloß die Au­gen und lehn­te sich an sein Knie. Nach ei­nem Weil­chen be­gann sie zu sum­men, und er lä­chel­te. »Was ist das für ein He­xen­lied, Hel­ma? Ich ha­be dich frü­her nie sin­gen ge­hört. Ich wuß­te gar nicht, daß du ei­ne No­te von der an­de­ren un­ter­schei­den kannst.«
    »Das kann ich auch nicht.« Sie lä­chel­te spitz­bü­bisch und rät­sel­haft zu­gleich. »Ich er­in­ne­re mich, daß mei­ne Mut­ter so ge­sun­gen hat, als ich noch ganz klein war.«
    »Wie war dei­ne Mut­ter?« frag­te er.
    Hel­ma lach­te lei­se: »Wie ich!«
    »Das hät­te ich se­hen mö­gen! Und dein Va­ter?«
    Sie zuck­te mit den Schul­tern. »Ich weiß nicht.
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