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61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig

Titel: 61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
Autoren: Karl May
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Eduard?“
    „Ja. Er muß verhört und abgeurteilt werden. Das Gesetz schreibt eben gewisse Wege vor.“
    „So hole der Teufel euer Gesetz! Das meinige ist besser! Ich handle schnell und augenblicklich. Warum habe ich den Hauser nicht arretiert? Warum habe ich ihn in Freiheit gelassen?“
    „Wie?“ fragte der Anwalt. „Hatten Sie denn Veranlassung oder Gelegenheit gehabt, ihn zu arretieren?“
    „Er hat sich ja selbst bei mir angezeigt!“
    „Als was?“
    „Als Holzspitzbube.“
    „Ah, das wirft ein sehr zweifelhaftes Licht auf ihn!“
    „Zweifelhaft? Von zweifelhaft kann da auf keinem Fall die Rede sein. Das Licht, welches da auf ihn fällt, ist so hell und rein wie der liebe Sonnenstrahl!“
    „Aber Holzdieb!“
    „Verstehen Sie nicht falsch! Er wollte mausen!“
    „Wollte?“
    „Ja; aber er hat nicht gemaust!“
    „Nun, dann konnten Sie ihn ja auch nicht arretieren?“
    „O doch! In meiner Instruktion steht, daß ich einen jeden, der sich mit einer Säge im Wald blicken läßt, festnehmen soll.“
    „So hatte er also eine Säge mit?“
    „Ja. Er hatte wochenlang gearbeitet, Tag und Nacht, ohne sich nur halb satt zu essen. Als er zu dem Seidelmann kam, gab ihm dieser keinen Lohn. Zu Hause gab es Hunger und Kummer, Kälte und Elend, kein Essen und Trinken, kein Öl, kein Holz, keine Kohlen. Das wandte sein Herz um. Er griff zur Säge und ging in den Wald, um sich ein abgestorbenes Stämmchen zu holen, an dem sich seine alten Eltern und seine kleinen, frierenden Geschwister erwärmen könnten. Das war des Abends.“
    „Der Ärmste!“ entfuhr es dem Anwalt.
    „Ja, der Ärmste! Und dann aber, als die Säge das Holz berührte, war es ihm, als ob die Zähne des Sägeblatts ihm durch die innerste Seele gingen – er konnte nicht; er wollte lieber verhungern und erfrieren als ein Holzdieb werden. Was sagen Sie dazu, Herr Staatsanwalt?“
    „Daß er ein zartes Rechtsgefühl, ein sehr sensitives Gewissen hat.“
    „Ob sein Gewissen sensitiv ist, das weiß ich nicht, denn ich bin kein Tierarzt oder sonst ein Quacksalber; aber daß er ein braver Kerl ist, das weiß ich.“
    „Aber was tat er dann?“
    „Hm! Er traf auf mich. Ich fragte ihn, und er erzählte mir ganz aufrichtig, in welcher Versuchung er sich befunden habe.“
    „Nun, da ahne ich, daß Sie ihm geholfen haben.“
    „Na, ich weniger als hier der Vetter! Aber das ist einerlei. Die Hauptsache ist, ob Sie zugeben, daß er brav gewesen ist.“
    „Das leugne ich nicht.“
    „Halten Sie einen so braven Jungen für einen Schmuggler?“
    „Hm!“
    „Donnerwetter! Hier wird gar nicht gehmt! Hier wird fein ordentlich gesprochen! Glauben Sie, daß so ein Kerl, dem der Klang der Säge tief in die Seele schneidet, der Waldkönig sein kann?“
    „Nein, das glaube ich nicht!“
    „Das wollte ich wissen.“
    Der Anwalt schüttelte leise den Kopf und bemerkte in beruhigendem Ton:
    „Aber, mein Lieber, sie ereifern sich wirklich zuviel!“
    „Soll ich das etwa nicht, wenn ich sehe, daß ein braver Kerl so unschuldig eingesteckt und eingesponnen wird? Ist Ihnen vielleicht ein Ding bekannt, welches man die Kriminalprozeßordnung nennt?“
    „Ich sollte meinen“, antwortete der Anwalt lächelnd.
    „Nun, ich habe dieses Ding zwar nicht studiert, aber ich muß Sie auf einen Punkt aufmerksam machen, den Sie in diesem verwickelten Ding ganz gewiß finden werden.“
    „Welcher Punkt wäre das?“
    „Nun, nicht wahr, Eduard Hauser ist verdächtigt worden, der Waldkönig zu sein?“
    „Ja.“
    „Na, dann ist es Ihre Sache, ihm zu beweisen, daß er es wirklich ist; aber nicht seine Sache ist es, zu beweisen, daß er es nicht ist! Verstanden?“
    „Oh, Sie sprechen laut genug, um verstanden zu werden!“
    „Spreche ich auch laut genug, um von Ihnen recht zu erhalten?“
    „Ja.“
    „Freut mich sehr, Herr Anwalt, zumal ich überzeugt bin, daß es Ihnen sehr schwer werden wird, den erwähnten Beweis zu liefern.“
    „Ich glaube, es wird mir nicht nur sehr schwer, sondern sogar unmöglich sein.“
    „Schön! So lassen Sie ihn frei.“
    „Doch nicht sofort?“
    „Eigentlich wollte ich ohne ihn nicht fortgehen. Hm! Wenn nur diese verteufelten Spitzen nicht wären!“
    „Das ist es ja! Man hat sie bei ihm gefunden.“
    „Aber ist das etwa zum Einsperren?“
    „Zunächst ist das kein Grund, ihn kriminalisiert vorzunehmen. Wer schmuggelt und dabei ergriffen wird, der wird gepfändet und muß Strafe zahlen. So auch Hauser. Gefängnisstrafe kann er
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