Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1661

1661

Titel: 1661
Autoren: Denis Lépée
Vom Netzwerk:
bis an den Rand der Bühne zu robben. Mit letzter Kraft zog er die granatfarbene Ledermappe, die er wenige Minutenzuvor gestohlen hatte, unter seinem blutdurchtränkten Hemd hervor und ließ sie in den Souffleurkasten fallen, bevor sein Kopf in die Blutlache zurücksank, die sich nun auf den Bühnenbrettern wie die unheilvolle Verlängerung des halbgeöffneten purpurroten Vorhangs ausbreitete.
    Im gleichen Augenblick kam der Concierge des Theaters, den der Lärm aufgeschreckt hatte, in den Saal gelaufen. Doch er sah nur noch, wie die zur Faust geballte Hand des Jungen leblos über die Vorbühne fiel. Zu Tode erschrocken, stürzte der alte Mann in die Kulissen.
    »Molière«, schrie er, »Monsieur Molière, zu Hilfe!«

Palais du Louvre
    Sonntag, 6.   Februar, zwei Uhr nachmittags
    Die Vorhänge geschlossen, die Kerzen bis auf zwei hohe Leuchter zu beiden Seiten des Kopfendes gelöscht und vor dem Kamin ein massives Feuerschutzgitter, hinter dem man den rötlichen Schein der Glut nur schwer erkennen konnte: Alles in dem mit schweren Möbeln aus dunklem Holz eingerichteten Schlafgemach wies darauf hin, dass hier ein Mann sterbenskrank daniederlag, dessen Macht unbeschreiblich groß war. Eine würdevolle Stille erfüllte den Raum, die nur durch die stoßweise Atmung des Kranken und die gedämpften Schritte des Lakaien gestört wurde, der in regelmäßigen Abständen hereinkam, um sich davon zu überzeugen, dass es Seiner Eminenz an nichts fehlte.
    Den Kopf in einen Berg von Kissen gebettet, sah man vom mächtigsten Mann Frankreichs nur das eingefallene Gesicht mit der wächsernen Haut, darüber eine kardinalsrote Kopfbedeckung, unter der ein Kranz weißer Locken hervorlugte, und seine auf den Laken ruhenden Hände, die aus den spitzenbesetzten Manschetten eines blütenweißen Nachthemdes hervorsahen. Der todkranke Pate des jungen Königs hatte die Augen geschlossen und schien zu schlummern. Doch der Eindruck täuschte.
    »Meine Bücher«, flüsterte Kardinal Mazarin mit matter Stimme, »meine Bücher   … meine ganzen Papiere – alleinwenn ich mir den beißenden Qualm vorstelle!« Voller Verzweiflung hob er eine Hand, die jedoch sofort wieder kraftlos auf die Laken sank. »Und all meine Gemälde   … die Jungfrau von Bellini   … und der Raphael, der erst im letzten Monat aus Rom eingetroffen ist   … Weiß man schon, wie viel Schaden das Feuer angerichtet hat?«
    In die Stille, die im Raum herrschte, antwortete ihm ein Murmeln: »Noch nicht ganz, Eure Eminenz. Aber ich kümmere mich darum.«
    Die wispernde Stimme gehörte einer mageren Gestalt, die mit gebeugtem Rücken auf einem Stuhl zwischen zwei riesigen Truhen saß, die neben dem prunkvollen Himmelbett des Kranken standen. Der blasse Mann, der ein merkwürdiges Gewand, ähnlich dem eines Geistlichen, trug, war beinahe mit seiner Umgebung verschmolzen. Er hatte hohe Wangenknochen sowie ein hervorspringendes Kinn unter einem schmallippigen Mund mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln. Seine kurzen Arme endeten in knochigen Händen, die beinahe wie Krallen aussahen. Sie lagen auf seinen zusammengepressten Knien und umklammerten einen Stoß Papiere. Seine Augen blickten Mazarin so durchdringend an, als konzentriere sich in ihnen seine ganze Anspannung.
    »Die Gemälde sind gerettet, Eure Eminenz. Nur ein einziger Rahmen hat unter der Hitze gelitten, die Leinwand ist aber unversehrt geblieben.«
    »Kommt her, Colbert   …«
    Mit einem Satz sprang der kleine Mann eilfertig auf und trat ans Bett, wo er sich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf beflissen zu dem Kranken hinabbeugte.
    »Sagt, war ich lange ohne Bewusstsein?«
    »Nein, Eure Eminenz«, erwiderte der private Vermögensverwalter des Kardinals, »es sind nur ein paar Stunden vergangen, seit Eure Eminenz zu ruhen wünschten.«
    »Was erzählt man sich über mein Befinden?«
    »Die Wahrheit, Eure Eminenz. Dass Ihr Euch etwas ausruhen müsst.«
    Der Erste Minister von Frankreich schnaubte verärgert.
    »Ich lasse mir weder von den heuchlerischen Mienen der Höflinge noch von dem Geschwafel der Ärzte etwas vormachen!« Er schwieg einen Moment mit geschlossenen Augen und fuhr dann in sanfterem Ton fort: »Seit so langer Zeit schon träumen die einen davon, mich endlich zu Grabe zu tragen, während die anderen sich nicht trauen, mir die Wahrheit zu sagen   … Simoni, meinen Astrologen, lasst ihn kommen, Colbert. Ich mache mir keine Illusionen mehr über meinen Zustand, ich will nur wissen, wie viel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher