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0958 - Der Keller

0958 - Der Keller

Titel: 0958 - Der Keller
Autoren: Jason Dark
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will mich ausruhen, verdammt. Ich habe keine Lust mehr, bei diesem Scheißwetter unter freiem Himmel zu schlafen. Das wirst du doch begreifen? Du gehörst doch zu uns.«
    »Ja. - Ich bin Karl.«
    »Gisela.«
    Karl nickte. Er trug einen dicken Mantel aus Fischgrätstoff. Wahrscheinlich war das Ding schon einige Jahrzehnte alt, aber es tat noch immer seinen Dienst.
    »Woher kommst du?«
    Karl winkte ab. »Irgendwo aus Deutschland. Mal bin ich Ossi, mal Wessi. Bei uns gibt es keine Unterschiede mehr. Ob ein Penner aus dem Westen oder einer aus dem Osten, jetzt sind wir alle gleich. Das ist wie damals vor der Wende. Alles schon mal dagewesen.« Er winkte ab und wechselte das Thema. »Du bist noch nicht im Haus gewesen?«
    »Nein.«
    »Dann weißt du auch nicht, was dort passiert ist?«
    »Wie sollte ich? - Was denn?«
    »Tote, viele Tote hat es dort gegeben.«
    »Ach.« Gisela fror plötzlich stärker. »War das die Stasi-Folter…?«
    »Nein, nein, nicht so«, unterbrach Karl.
    »Wer denn?«
    »Da wohnt jemand.«
    »Im Schlund?«
    »Klar.«
    »Und wer?«
    »Einer, der Menschen frißt. Ein Untier. Ein Teufel. Eine widerliche Kreatur.«
    Gisela Behle legte die Stirn in Falten und zog die Augenbrauen zusammen. »Hör mal, Karl, die Zeit der Märchen ist vorbei. Früher hat mir meine Tante von finsteren Wäldern mit menschenfressenden Riesen erzählt, aber das stimmt heute nicht mehr.«
    »Die fressen heute anders. Es sind auch keine Riesen mehr. Das mußt du mir glauben.«
    Gisela winkte ab. »Du kannst sagen, was du willst, aber du schaffst es nicht, mich zu überzeugen. Ich werde trotz allem diese Nacht in dem Haus verbringen. Ich will nicht erfrieren. Ich habe noch zwei Baguettes, die gut belegt sind. Wenn du willst, kannst du eines haben. Und dann will ich schlafen.«
    Karl rieb sich seinen feuerroten Riechkolben. »Du bist sehr mutig, Gisela.«
    »Nein, nur kaputt. Das verdammte Wetter reißt mir die Kraft aus dem Leib.«
    »Das geht mir ebenso.«
    Sie wollte nicht mehr reden. Der Rucksack auf dem Rücken war plötzlich zu einer schweren Last geworden. Gisela nahm ihn ab und trug ihn in der rechten Hand. Sie ging auf das Haus zu und kümmerte sich nicht darum, was Karl tat.
    Es war schon ein gewaltiger Klotz. Dieser Gebäudekomplex war wie ein König hier. Er herrschte. Man kam an ihm nicht vorbei. Er war nicht zu übersehen. Man mußte ihn annehmen. Man konnte ihn bewundern oder ablehnen, und Gisela Behle wußte nicht, zu welcher Seite sie tendierte.
    Jedenfalls staunte sie ihn an.
    Breit stand dieser Bau vor ihr. Eine Auffahrt und eine Treppe in der Mitte führten hoch zum Eingang, der hinter dem säulengestützten Vorbau im Halbdunkel lag.
    Alles war so tot, so leer. Damals herrschte hier Betrieb. Hunderte von Menschen arbeiteten in den Büros. Hinter jeder Scheibe hatte ein Mensch gesessen und gearbeitet. Ein Schicksal, ein Mann, eine Frau, dann war der Zusammenbruch gekommen.
    Nichts ging mehr.
    Der Schlund stand leer.
    Wie ein gewaltiger Ofen, dem jemand die Feuerstelle genommen hatte.
    Er war erkaltet, ausgekühlt worden. Man hatte ihm einfach das Leben genommen, so war es.
    Keine Menschen mehr, die hier arbeiteten. Nur die grauenvolle Kälte und Leere. Viele Scheiben waren zerstört worden. Fenster schlossen nicht mehr richtig. Wenn es draußen stürmte, dann heulten die Windgeister durch die Treppenhäuser und Flure, um ihre Klagelieder anzustimmen.
    Gisela Behle ging die Treppe hoch. Schwerfällig, mit den Bewegungen einer alten Frau. Den Blick hielt sie gegen den Eingang gerichtet. Das Mauerwerk teilte ihn in drei Zonen.
    In der Mitte hatte es einmal die funktionierende Drehtür gegeben, die jetzt festklemmte und deren Glas herausgehauen worden war. Daneben konnte der Besucher durch einfache Türen gehen, die er aufdrücken mußte. Das war jetzt nicht nötig. Sie standen offen, und Gisela konnte das Haus betreten.
    Zum erstenmal befand sie sich im Innern. Sie hatte es früher immer nur aus der Distanz bewundert, aber von Bewunderung konnte jetzt keine Rede mehr sein.
    Eine kahle, schmutzige, große Halle. Türen an den Seiten, der Beginn des Treppenhauses, die hohe Decke, das Geländer an der Treppe und der stillgelegte Paternoster, neben dem eine Treppe in den Keller führte.
    Es war kalt, aber aus der Tiefe zog etwas in die Höhe und verteilte sich in der Halle, das bei Gisela Behle für eine besondere Gänsehaut sorgte.
    Sie dachte daran, daß etwas Unheimliches auf dem Weg zu ihr war, und sie ging auf
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