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0953 - Der Fluch von Eden

0953 - Der Fluch von Eden

Titel: 0953 - Der Fluch von Eden
Autoren: Adrian Doyle
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Neles Vater, war sie nicht mehr die Nahbare, mit der Nele in Kindertagen so viel gescherzt und gelacht hatte. Dorothea Großkreutz ließ andere Menschen kaum noch an sich heran, und besonders ihre Tochter und die beiden Söhne hatten das in den Tagen seit der Beerdigung immer wieder zu spüren bekommen. Agnes, die Kinderfrau, hatte dieses Manko aufzufangen versucht, aber es war nicht dasselbe, ob dir deine Mutter übers Haar streichelte oder eine Frau, die sich einfach nur um dich bemühte, auch wenn die Kinder in ihrer Obhut ihr gewiss ans Herz gewachsen waren.
    Nele merkte nicht, wie sie über all diesen Gedanken schließlich doch einschlief und vom ersten Hahnenschrei geweckt wurde. Das kleine Wäldchen lag in die Stadt eingebettet, und näher als bei Nacht vermutet, erhob sich ein Haus mit einer kleinen Wiese davor, auf dem Hühner herumliefen, um nach Würmern und Insekten zu picken.
    Nele hatte ihre enge Schlafkuhle verlassen, die steifen Glieder gestreckt und sich der Behausung vorsichtig genähert. Sie hatte nicht vor, sich den Menschen dort zu zeigen, aber sie wollte sich orientieren. Noch hatte sie keinen genauen Plan, wie es weitergehen sollte. Aber sie wollte ihr einstiges Zuhause erst einmal meiden, vielleicht irgendwo unterschlüpfen. Bei Verwandten, die ihr vielleicht sagen konnten, was genau eigentlich passiert war. Was hinter dem nächtlichen Überfall - für Nele war und blieb es ein solcher - steckte.
    Doch sie kam nicht sehr weit. Eine Gestalt trat vor ihr hinter einer Hausecke hervor und stellte sich breitbeinig vor sie, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
    Nele erschrak. Vor ihr stand Wenzel, den sie erstmals bei hellem Tageslicht erblickte - und überrascht war, wie gut er aussah.
    Trotzdem warf sie sich herum und wollte vor ihm davonlaufen.
    Sie kam keine drei Schritte weit, dann hatte er sie am Schlafittchen gepackt.
    Nele schlug wild um sich und schrie ihn an, sie loszulassen.
    Seine Reaktion kam völlig unerwartet. Eine Faust krachte gegen ihre Schläfe, und die Welt ersoff in einem Tintenfass.
    ***
    Nele kam mit bohrenden Kopfschmerzen zu sich. Sie war in einem spartanisch eingerichteten Zimmer, nicht halb so sauber, wie sie es gewohnt war, aber auch nicht annähernd so dreckig, wie es hätte sein können.
    Wenzel war bei ihr. Er saß am Rand der Bettstatt aus mit grobem Leinen überzogenen Stroh und einem erstaunlich weichen Kissen, in dem Nele zarte Entendaunen zu spüren meinte. Ein Tisch und ein einzelner Stuhl mit drei Beinen bildeten den Rest des Mobiliars. Die Wände waren lehmverputzt und gekalkt.
    Das war alles.
    Zumindest bis auf den Fliegenschiss, der die Decke sprenkelte.
    Nele setzte sich ruckartig auf - was ihr Kopf ihr gar nicht dankte; pulsierender Schmerz schoss hindurch - und fuhr die Krallen aus.
    Sinnbildlich.
    »Warum habt Ihr das getan?«
    Er blieb die Ruhe selbst. »Um dich zu schützen, Kind.«
    »Ich bin kein Kind!«
    »Aber auch keine Frau - das wüsste ich.«
    Dieses »Das wüsste ich« führte Nele vor Augen, dass sie wahrscheinlich einem Unhold in die Arme gelaufen war. Vielleicht hatte er sie…
    Sie lauschte beunruhigt in ihren Körper, suchte Anzeichen von Schmerz zwischen ihren Beinen. Sie war fünfzehn und kein unbedarfter Bauerntrampel, der in diesem Alter schon zwei Bälger herumlaufen hatte.
    Aber da war kein Schmerz, nicht einmal der Anflug eines solchen. Nur der Kopf brummte immer noch als Folge des Hiebs, den sie hatte einstecken müssen.
    »Bastard!«, fauchte sie.
    »Hör auf, mich zu beschimpfen. Du solltest mir dankbar sein.«
    »Dankbar für die Prügel?«
    »Ich musste dich zum Schweigen bringen. Dein Plärren hätte Leute auf den Plan gerufen, und wenn sie dich und mich erst zusammen gesehen hätten, dann…«
    »Was dann?«
    »Dann hätte ich dich nicht mehr beschützen können.«
    »Oh, beschützen nennt Ihr das!«
    »Du kannst mir vertrauen.«
    »Warum im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes sollte ich das?«
    »Weil es die Wahrheit ist.« Er wirkte so besonnen und überlegt in jeder Geste, jeder Miene, die er verzog, jedem Wort, das über seine Lippen kam. Er sah wirklich gut aus, wenngleich er mindestens doppelt so alt sein musste wie Nele.
    »Die Wahrheit! Die Wahrheit ist, dass Ihr meine Mutter und meine Brüder - und Agnes! - habt wegschaffen lassen. Wo sind sie? Geht es ihnen gut?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. Sein Blick verfinsterte sich, aber offenbar nicht aus Zorn auf Nele. »Ich will ehrlich zu dir sein:
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