Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0952 - Nacht über New Amsterdam

0952 - Nacht über New Amsterdam

Titel: 0952 - Nacht über New Amsterdam
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
ich weiß nicht, ob ich Zandt so lange aufhalten kann. Ein Transatlantikflug kostet Sie Stunden, und wenngleich bei uns noch tiefste Nacht herrscht, hat der Lieutenant alle Hebel in Bewegung gesetzt, diese Sache schnellstmöglich aus der Welt zu schaffen.«
    Zamorra schmunzelte. »Keine Sorge, Andy. Ich hatte nicht vor, zum Flughafen zu fahren. Schicken Sie mir einfach einen Wagen zum Stadtrand von New York.« Aus dem Gedächtnis gab er seinem Gesprächspartner die nötige Wegbeschreibung zum dortigen Standort der mysteriösen Regenbogenblumen, deren Pendants im Keller des Châteaus wuchsen. »Er soll mich dort in fünfzehn Minuten einsammeln und zu Ihnen auf die Wache bringen, okay?«
    Für einen Moment reagierte Sipowicz gar nicht, und Zamorra stellte sich amüsiert vor, wie der Sergeant mit offenem Mund an seinem Schreibtisch saß und aus weit aufgerissenen Augen ins Leere starrte. Dann drang ein leises Räuspern aus dem Lautsprecher. »F-fünfzehn Minuten. Natürlich. Wird gemacht, Monsieur.«
    Der Meister des Übersinnlichen grinste schelmisch. »Hey, Sie haben mich angerufen. Also wundern Sie sich nicht, wenn ich nach meinen Regeln spiele.«
    ***
    Der beschauliche Prominentenfriedhof lag im Norden der Stadt, nahe Inwood Hill Park, und somit atmosphärisch und optisch so weit von Manhattans Hochhäusern und Dauerhektik entfernt, wie es nur vorstellbar war. Das von Harlem und Hudson River begrenzte Viertel war bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein sehr ländlich geblieben und zum Großteil von jüdischen und irischen Immigranten bewohnt. Seit die New Yorker Verkehrsbetriebe es ans Netz angeschlossen hatten, hatte sich das Bild Inwoods aber geändert. Mittlerweile hörte man auf den hiesigen Straßen mindestens so oft Spanisch wie amerikanisches Englisch. Einzig der Park, an dessen südwestlichen Ende sich die illustre Menschengruppe an diesem frühen Morgen eingefunden hatte, erinnerte noch an die Zeiten von einst, in denen Inwood seinem Namen alle Ehre gemacht hatte und es hier tatsächlich »in den Wald« - »into the woods« - gegangen war.
    Der Park, der sich von der Dyckman Street bis zum Ende der Manhattan-Insel erstreckte, war eine kleine Oase von Grün inmitten des Betons. Das knapp achtzig Hektar große Gelände bot diversen frei lebenden Tieren eine Heimat und lockte insbesondere aus den benachbarten Stadtteilen Manhattan und der Bronx Tausende von Spaziergängern an, wann immer das Wetter auch nur ein wenig dazu einlud.
    Heute, so viel stand schon mal fest, tat es das nicht.
    Professor Zamorra schlug den Kragen seines weißen Jacketts hoch und schlang die Arme um den Oberkörper. Das war der Nachteil eines Spontanaufbruchs: Man war nicht für jede Witterung ausgestattet. New York, in dem es gerade auf sechs Uhr früh zuging und eine schwachträge Sonne jenseits der letzten Ausläufer Long Islands aufstieg, war von einer nahezu lückenlosen Wolkenschicht überdacht, die stetig Regen nachlegte. Ein kräftiger Wind, der vom Hudson herüberwehte, trug nicht gerade dazu bei, die Umstände zu verbessern.
    Schweigend starrte der Meister des Übersinnlichen nach vorn, wo drei Friedhofsangestellte damit beschäftigt waren, ein Grab auszuheben. Hinter ihnen standen Lieutenant Steven Zandt, ein schmerbäuchiger Koloss im manilagrauen Trenchcoat und mit dunklem Hut über den kurz geschorenen Stoppelhaaren, die Gerichtsmedizinerin Diane Millerton und Andy Sipowicz. Letzterer musste jeden Gefallen eingefordert haben, den er finden konnte, um Zamorra die Anwesenheit bei dieser kleinen Letzte-Ruhe-Störung zu ermöglichen. Zandts Blicke, die der Lieutenant gelegentlich in Zamorras Richtung absonderte, machten zumindest deutlich, dass ihm die Anwesenheit des Franzosen nicht gerade behagte.
    Kann aber auch an der Nationalität liegen , dachte Zamorra schmunzelnd und bemühte sich, das eisige Regenwasser zu ignorieren, das ihm ungehindert den Nacken hinab lief. Die Amis haben es generell nicht so mit Franzosen.
    Die Vorbereitungen der Exhumierung waren überraschend schnell erledigt gewesen. Zamorra hatte New York gerade erst via Regenbogenblumen und ohne Zeitverlust erreicht, da war er auch schon dem verblüfften Sipowicz in die Arme gelaufen. Auf der Fahrt in dessen Dienstwagen hatte sie die Nachricht ereilt, dass der soeben aus dem Bett geklingelte Richter dem Ansinnen positiv gegenüberstand und die Öffnung von Krings Grab gestatte - damit waren auch etwaige Bedenken der Angehörigen erst einmal vom Tisch.
    »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher