Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Wagen hinter dem Fahrzeug der Spurensicherung abgestellt hatte und ausgestiegen war, befahl er deshalb dem Constable, der auf der Brücke Wache stand, bei der Zentrale zusätzliche Leute zur Verkehrsregelung anzufordern. Nichts haßte er so sehr wie Gaffer und Sensationsjäger.
    Er stopfte seinen marineblauen Schal fest in seinen Mantel, dann tauchte er unter der gelben Polizeiabsperrung durch. Auf der Brücke standen mehrere Studenten weit über das Geländer gebeugt, um zu sehen, was unten vorging. Sheehan winkte den Constable herbei und befahl ihm, die jungen Leute weiterzuschicken. Wenn das Opfer zu einem der Colleges gehörte, so würde er darüber nicht früher etwas verlauten lassen als unbedingt nötig. Seit einer höchst unglücklich verlaufenen Untersuchung am Emmanuel College im vergangenen Herbst bestand zwischen der örtlichen Polizei und der Universität ein sehr empfindlicher Friede. Den wollte Sheehan keinesfalls gefährden.
    Er überquerte die kleine Brücke zur Insel, wo sich eine Beamtin um eine Frau bemühte, die bleich und in sich zusammengefallen auf einer der unteren Stufen der Eisentreppe saß. Sie hatte einen alten blauen Mantel an, der vorn mit braunen und gelben Flecken übersät war. Offensichtlich hatte sie sich übergeben.
    »Sie hat die Leiche gefunden?« fragte Sheehan die Beamtin, die wortlos nickte. »Wer ist mittlerweile hier?«
    »Alle außer Pleasance. Drake wollte ihn nicht aus dem Labor weglassen.«
    Sheehan brummte gereizt. Schon wieder eine kleine Differenz bei den Herren Gerichtsmedizinern. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung wies er auf die Frau auf der Treppe. »Besorgen Sie ihr eine Decke. Wir brauchen sie hier vorläufig noch.« Er kehrte zur Pforte zurück und betrat den Südteil der Insel.
    Je nach Standpunkt war dies der ideale Tatort beziehungsweise der Alptraum jedes Ermittlungsbeamten. Spuren - ob nun von Belang oder nicht - gab es da in Hülle und Fülle, von verrottenden Zeitungen bis zu weggeworfenen Plastikbeuteln, die ganz oder teilweise mit Abfällen aller Art gefüllt waren. Das Ganze sah aus wie eine einzige Müllhalde und bot dazu mindestens ein Dutzend deutlicher und unverkennbar nicht zusammengehöriger Fußabdrücke in der feuchten Erde.
    »O Mist!« knurrte Sheehan.
    Die Leute von der Spurensicherung hatten Holzbretter ausgelegt. Sie begannen an der Pforte und setzten sich nach Süden fort, bis sie sich im Nebel verloren. Er ging mit dröhnenden Schritten über sie hinweg und versuchte dabei, dem von den Bäumen tropfenden Wasser auszuweichen, so gut es ging. Vor einer Lichtung, auf der zwei Leinwände und eine Staffelei an einer Pappel lehnten, blieb er stehen. Auf dem Boden lag ein offener Holzkasten mit einer wohlgeordneten Reihe Pastellkreiden und acht handbeschrifteten Farbtuben, auf denen sich bereits ein dünner Feuchtigkeitsfilm gesammelt hatte. Stirnrunzelnd blickte er vom Fluß zur Brücke und weiter zu den weißen Nebelschwaden, die aus dem Moor aufstiegen, und fühlte sich angesichts der Malutensilien an die französischen Bilder erinnert, die er Vorjahren im Courtauld Institute gesehen hatte: lauter Tupfer und Kringel und Strichelchen, die erst dann eine halbwegs erkennbare Komposition ergaben, wenn man zehn Meter zurücktrat und ordentlich die Augen zusammenkniff und sich vorstellte, wie die Welt aussehen würde, wenn man einmal eine Brille brauchte.
    Ein Stück weiter schwenkten die Planken nach links, und er stieß auf den Polizeifotografen und die Gerichtsbiologin. Beide waren dick eingepackt gegen die Kälte und hatten ihre Wollmützen tief in die Gesichter gezogen. Wie tolpatschige Tänzer hüpften sie von einem Fuß auf den anderen, um sich warmzuhalten. Der Fotograf sah so käsig aus wie immer, wenn er eine Leiche fotografieren mußte. Die Biologin sah mürrisch und gereizt aus. Die Arme fest auf der Brust gekreuzt, als glaubte sie, daß der Mörder sich noch dort drüben im Nebel aufhalte, und sie nur hoffen konnte, ihn zu schnappen, wenn sie augenblicklich losrannten.
    Als Sheehan die beiden erreichte und die übliche Frage stellte - »Was haben wir denn diesmal?« -, sah er den Grund für die Gereiztheit der Biologin. Aus dem Dunst unter den Weiden tauchte ein hochgewachsener Mann auf, der, den Blick unverwandt zu Boden gerichtet, langsam näherkam. Trotz der Kälte hatte er seinen Kaschmirmantel nur lässig über die Schultern geworfen, und er trug keinen Schal, der vom eleganten Schnitt seines italienischen Anzugs abgelenkt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher