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Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)

Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Carin Gerhardsen
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hinüber.
    »Alice!«, brüllte sie immer wieder, unfähig zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte, aber bevor sie gar nichts tat, lief sie lieber mit ihrem Sohn in den Armen die Treppe hinunter.
    Die untersten Stufen der Treppe standen wie das ganze Erdgeschoss bereits in Flammen, die an den trockenen Deckenbalken leckten. Es war eine Frage von Minuten, bis die Flammen auch das Obergeschoss ergriffen hatten. Sie sprang in den Hof hinaus und stellte den Jungen, der mittlerweile von dem Tumult aufgewacht war, in sicherer Entfernung von dem brennenden Gebäude ab. Dann lief sie zum Haus zurück, aber das Feuermeer, das ihr entgegenschlug, war undurchdringlich. Sie wäre selbst innerhalb weniger Sekunden verbrannt, wenn sie versucht hätte, in ihrem Nachthemd und mit offenen Haaren durch das Feuer zu laufen. Durch die Tür sah sie, dass die ganze Treppe bereits in Flammen stand. Damit gab es keine Möglichkeit mehr, nach oben zu laufen und anschließend wieder hinunter. Stattdessen schrie sie immer wieder die Namen ihres Mannes und ihrer Tochter, stürmte wieder in den Hof und stellte sich so hin, dass sie das Schlafzimmerfenster sehen konnte.
    »Alice! Christian!«, brüllte sie aus vollem Hals, bevor sie sich umschaute und nach etwas suchte, das sie durch das Fenster werfen konnte.
    Sie fand ein Holzscheit, das sie mit solcher Wucht gegen das Fenster schleuderte, dass es zersplitterte.
    »Alice!«, schrie sie erneut. »Du musst durch das Fenster springen! Ich fange dich auf! Alice! Alice!«
    Ein paar Schritte hinter ihr stand der Junge und wurde schweigend Zeuge des ohnmächtigen Kampfes seiner Mutter gegen die Zeit und das Feuer. Und plötzlich tauchte sie tatsächlich im Fenster auf. Alice stolperte hinter der zerbrochenen Scheibe umher, und jetzt begegneten sich ihre Blicke. Mit einem fast verwunderten Ausdruck schaute sie zu ihnen hinunter, und der Schrei, der aus der Kehle seiner Mutter drang, ging ihm durch Mark und Bein; ihr Schrei, als sie sah, wie das Haar ihrer Tochter plötzlich in Flammen aufging und sich das Feuer wie ein Kranz um ihr ungläubiges Gesicht legte. Ein Gesicht, dass sich in Qualen verzerrte, bevor sie fiel und aus ihrem Gesichtsfeld verschwand, aus ihrem Leben und aus der Erinnerung ihres kleinen Bruders.
    Die Mutter nahm den Jungen auf den Arm und lief. Ihre nächsten Nachbarn wohnten mehrere Hundert Meter entfernt, aber sie lief. Sie lief, wie sie noch nie zuvor gelaufen war, mit dem Kind auf dem Arm und barfuß in der Dunkelheit über die Schotterstraße. Schließlich erreichte sie die Nachbarn, und die Nachricht verbreitete sich von Haus zu Haus, dass der Sjöberghof in Flammen stand, und alle, die dazu in der Lage waren, eilten dorthin, um den Brand zu löschen. Dem Mädchen war nicht mehr zu helfen, aber den Mann, den Vater, fanden sie auf dem Boden liegend, und sie konnten ihn auf den Hof ziehen, bevor es zu spät war.
    Nachdem er in das große Krankenhaus in der Hauptstadt gebracht worden war, erlangte er nach einer Weile das Bewusstsein wieder, aber bei den Verbrennungen, die er erlitten hatte, wäre es besser gewesen, wenn er tot gewesen wäre. Eivor Sjöberg ließ ihren Sohn seinen bis zur Unkenntlichkeit entstellten Vater nie mehr sehen, und auch bei der Beerdigung durfte er nicht dabei sein.
    Der Verlust der Tochter war zu viel für Eivor, sodass sie in den schweren Monaten nach dem Feuer, als ihr Mann im Krankenhaus lag und ihre Schwiegereltern mit ihr auf dem Kriegsfuß waren, mit niemandem darüber reden konnte. Die Schwiegereltern konnten sich nie mit der Tatsache abfinden, dass sie sich selbst gerettet hatte, aber nicht ihren Mann – ihren Sohn. Und sie konnten niemals begreifen, was sich in ihrem Kopf abgespielt hatte, als sie auf den Hof hinuntereilte, ohne sich vorher zu vergewissern, dass alle Familienmitglieder wach und auf den Beinen waren. Sie ließen sie mit ihrer Trauer erst in Ruhe, als sie aus ihrem Umfeld verschwunden war, aus ihrer Heimat, wo sie aufgewachsen war, und das kleine, demütigende Abbild ihres geliebten Sohnes mit sich genommen hatte.
    Sie zog natürlich nach Stockholm, wo Christian behandelt wurde, und dort begann das Leben, an das sich Sjöberg erinnern konnte. Was sie dorthin geführt hatte, wurde totgeschwiegen, und was hätte sie auch groß dazu sagen können?
    Viele Tränen, viele Tassen Kaffee und viele Gläser Likör später hatte Sjöberg das Gefühl, dass er und seine Mutter jetzt einer besseren gemeinsamen Zukunft
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