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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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dieser Dr. Wurtz ein Getriebener, getrieben von Hilde, die gesellschaftlich mindestens zwei Klassen über ihm angesiedelt war und ihn gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet hatte – mit der festen Absicht, aus ihrem Christoph etwas Besonderes zu machen, ihn in schwindelnde Höhen aufsteigen zu lassen, und ihren Vater Lügen zu strafen. Das war bis jetzt einigermaßen gelungen, wenn auch alle außer Hilde Wurtz (selber eine diplomierte Übersetzerin, die ihre Karriere der des Mannes geopfert hatte und so weiter und so fort) mit einem auch nur flüchtigen Blick auf Christoph Wurtz zur Einsicht kamen, dass der den Höhenflug nicht mehr lang aushalten würde. Sie bringt ihn um, dachte Semmler, der Mann sollte eine gemütliche kleine Kanzlei führen, spezialisiert auf Erbschaftsangelegenheiten oder so ... nicht diesen Industriejob. Warum machte er das mit? Weil er fast ebenso vom Ehrgeiz zerfressen war wie seine Frau. Da hatten sich die richtigen zwei gefunden; sie trieb, aber er wollte auch getrieben werden.
    »Alles muss unter uns blieben«, sagte Dr. Wurtz. Er sprach beiläufig, lächelte dabei, als erzähle er eine Anekdote. Semmler studierte die kleine Speisekarte. Man konnte im »Moosmann« nicht nur Kuchen und Torten, sondern auch Toasts und Wiener Schnitzel essen.
    »Keine Frage«, sagte Semmler. »Es ist was Großes, oder?«
    »PZ 405«
    »Das sagt mir nichts ...«
    »Soll es auch nicht. Hochgeheim, nicht einmal die Codebezeichnung darf jemand wissen ...«
    »Lass mich raten: eure Geheimwaffe gegen Krebs!«
    »Gegen Schlaganfallfolgen – soll die kaputten Arterien reparieren, frag mich nicht, wie, ich kenn mich damit nicht aus, jedenfalls sind jetzt die Testergebnisse aus Bulgarien da.«
    Die Sache begann Semmler zu interessieren. Wurtz saß immerhin an der Quelle. Er besaß Wissen, das er nicht selber nutzen konnte. Dazu brauchte er Semmler. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Das war etwas äußerst Seltenes: eine wirkliche, wahrhafte Gelegenheit. Nicht vergleichbar mit ihren übrigen Geschäften; Semmler wusste das sofort, obwohl Wurtz nur in seine Kaffeetasse starrte und schwieg. Sie trafen sich ab und zu im »Moosmann«, wenn Wurtz Informationen hatte, die er nicht selber nutzen konnte. Sie blieben auch nicht geheim, er hatte sie nur Tage oder Wochen früher als die übrige Welt. Semmler nutzte dieses Wissen dann aus und kassierte seinen Teil. Beide machten ihren Schnitt. Strafbar, natürlich, Wurtz würde ins Gefängnis gehen, wenn es aufflog, oder doch nicht? Semmler machte sich keine großen Sorgen, es ging um ein paar Tausend jedes Mal; Wurtz litt darunter, was Semmler egal war.
    Aber heute war es anders. Keine Gewinnwarnung. Keine Insiderinformation über die Höhe der Dividende. Kein klein-klein Gekasper um zwanzigtausend Euro. Sie waren bei diesen Geschäften immer sehr vorsichtig gewesen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war ein Spiel; es hatte,wenn man es recht überlegte, den Charakter einer Kinderei, eines Bubenstreichs, wenn es hoch kam. Sie schlugen den Gesetzen ein Schnippchen. Im Grunde war es lächerlich und hatte nichts zu tun mit Geschäften , darüber war sich Semmler klar. Er freute sich nie so recht über die gelungenen Coups. Weil sie die Erwachsenenversion eines geglückten Raubzugs auf die Birnen in Nachbars Garten waren.
    Wurtz sagte nichts. Und nicht deshalb, begriff Semmler, um die Sache dramatisch hinauszuzögern.
    »Und? Repariert PZ 405 die kaputten Arterien?«
    »Das wissen wir nicht. Es schickt jedenfalls sieben von zehn Leuten, die es eingenommen haben, ins Koma. Zwei sind gestorben, der Zustand von zwei anderen ist kritisch, zwei haben sich erholt.«
    »Wieso habt ihr das ...«
    »... erst jetzt gemerkt? Keine Ahnung. Das Zeug wurde monatelang getestet, an Ratten, Meerschweinchen, irgendwelchen Affen, was weiß denn ich! Nie der geringste Hinweis ... und dann beim Menschen ...« Wurtz seufzte, so tief und echt, dass ein Beobachter, der ihn nicht gut kannte, dies wohl dem Mitleid mit den armen Versuchspersonen in der bulgarischen Klinik zuschreiben würde. Semmler wusste es besser. Wenn es jemanden gab, mit dem Wurtz Mitleid empfand, dann war es Wurtz selber.
    »Hör zu«, fuhr er fort, »wenn du etwas daraus machen willst, musst du schnell sein. Wir halten das noch unter der Decke, die Kandidaten sind offenbar in einer prekären finanziellen Situation, sie wurden schließlich danach ausgesucht – mit Geld lässt sich da viel machen. Es sind schon
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