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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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lag in der Weststadt und war sorgfältig renoviert worden. Ganz anders als die Mietskasernen im Osten, die einander in Lila und Rosa und anderen Farben anschrien, die damals, als die Häuser neu waren, noch ihrer Erfindung geharrt haben mochten. Dieses Haus war perlgrau. Fenster und Türen hatten dunkelblaue Rahmen, und die Renovierung konnte noch nicht lange zurückliegen.
    Hanne Wilhelmsen stellte ihr Motorrad vor dem Haus ab. Erik der Rote stieg stolz vom Rücksitz, verschwitzt und aufgekratzt.
    »Können wir auf dem Rückweg einen Umweg fahren?«
    »Werden sehen.«
    Neben den Klingeln waren zwei Reihen von Namensschildchen befestigt. Im ersten Stock wohnte K. Håverstad, vernünftig und geschlechtsneutral, was ihr allerdings auch nicht geholfen hatte. Im Erdgeschoß schien jemand neu eingezogen zu sein; das Namensschild war nicht vorschriftsmäßig und unifomiert unter der Glasplatte angebracht worden, sondern mit einem Stück Klebeband daneben befestigt. Ein fremdartiger Name, der einzige im ganzen Haus, der auf ausländische Herkunft hinzudeuten schien. Kommissarin Wilhelmsen klingelte bei den Leuten, die K. Håverstad gegenüber wohnten.
    »Hallo?«
    Eine Männerstimme antwortete. Eine sehr alte Männerstimme.
    Sie stellte sich vor. Der Mann wirkte überglücklich angesichts dieses Besuches und drückte noch auf den Summer, als sie schon halb die Treppe hoch gestiegen waren. Als sie den ersten Stock erreichten, empfing er sie mit ausgestreckten Händen und einem so herzlichen Lächeln, als hätte er sie zu einem Fest geladen.
    »Hereinspaziert, hereinspaziert«, piepste er und riß die Tür sperrangelweit auf.
    Er mußte an die Neunzig sein und war wohl kaum größer als eins sechzig. Außerdem war er bucklig, und deshalb mußten sie sich setzen, um Blickkontakt zu ihm aufnehmen zu können.
    Das sonnige Wohnzimmer war gut in Schuß und wurde von zwei riesigen Vogelkäfigen dominiert. In jedem machte ein großer bunter Papagei einen Höllenlärm. Überall standen Topfblumen herum, an den Wänden hingen alte Gemälde in großen, vergoldeten Rahmen. Das Sofa war steinhart und unbequem. Erik wußte nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, und deshalb blieb er bei einem der Papageien stehen.
    »Einen Moment noch, ich hole uns eine Tasse Kaffee!«
    Der alte Mann war hingerissen. Hanne versuchte, den Kaffee abzuwehren, begriff aber schnell, daß das nichts bringen würde. Porzellantassen und eine Plätzchenschale mit hohem Fuß wurden auf den Tisch gestellt. Durch Schaden klug geworden, lehnte sie die Plätzchen dankend ab, wagte es aber, eine halbe Tasse Kaffee zu trinken. Erik fehlte diese Erfahrung, und er langte gierig zu. Ein Bissen reichte. Ein verzweifelter Ausdruck trat in seine Augen, und er hielt panisch nach einer Möglichkeit Ausschau, die drei Plätzchen, die er auf seinen Teller gepackt hatte, wieder loszuwerden. Er fand keinen Ausweg und war für den Rest des Besuchs mit dem Versuch beschäftigt, die Plätzchen herunterzuwürgen.
    »Sie wissen vielleicht, warum wir hier sind?«
    Der Mann beantwortete diese Frage nicht, er lächelte nur und versuchte, ihr ein Stück Königskuchen aufzuschwatzen.
    »Wir sind von der Polizei«, sagte sie lauter, »das wissen Sie doch, ja?«
    »Polizei, ja.« Er war zuckersüß. »Polizei. Nette junge Leute. Nettes Mädchen.«
    Die strohtrockene runzlige Greisenhand war überraschend weich; mehrmals fuhr er ihr über den Handrücken. Ruhig nahm sie seine Hand und fing seinen Blick auf. Seine Augen waren hellblau. Die Brauen waren kräftig und hoben sich in der Mitte, wo die Haare am längsten waren, zu einem optimistischen Bogen. Sie sahen aus wie zwei kleine Hörner. Ein netter, freundlich gesinnter kleiner Teufel.
    »In der Nachbarwohnung hier ist ein Verbrechen passiert! In der Nacht zum Sonntag!«
    Sie fuhr zusammen, als aus einem Käfig ein Echo ertönte.
    »Nachzum Sonntag, nachzum Sonntag!«
    Erik schreckte noch heftiger hoch. Der Papageienschnabel befand sich gleich neben seinem Ohr, und deshalb ließ Erik seinen Teller zu Boden fallen. Er war unglücklich über dieses Zerstörungswerk, aber auch erleichtert, weil das letzte Plätzchen mit den Scherben auf dem Boden lag und nun wirklich nicht mehr gegessen werden konnte. Er entschuldigte sich stotternd und mit vollem Mund.
    Dem Alten schien das nichts auszumachen. Er humpelte hinaus und holte Kehrblech und Handfeger. Erik folgte ihm und bestand darauf, die Scherben selbst wegzukehren. Der Papageienbesitzer
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