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Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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davonrannte. Unter den Arkaden des Kreuzgangs - aus der Kapelle war bereits die Hymne zu hören – holte Olivier ihn ein. Der Streit ging weiter. Ein Schimpfwort gab das andere, ungeachtet, dass hier, im Andachtsbereich, absolute Schweigepflicht herrschte. Irgendwann prügelten sich die beiden über den ausgetretenen Grabplatten verblichener Äbte, bis Damian das Blut aus der Nase floss und mehrere Mönche herbeieilten, um die Streithähne zu trennen.
    Aus den drei Löffeln Nüchterling, die der Mundkoch verordnet hatte, wurden deren sechs und sie mussten beide dankbar sein, so der Novizenmeister, dass man sie aufgrund ihres ungebührlichen Benehmens nicht auf der Stelle des Klosters verwies oder sie in den Kerker steckte.
    Vor dem Schlafengehen entschuldigte sich Damian vorschriftsmäßig bei seinem Kontrahenten. Olivier reichte ihm gnädig die Hand, begann aber im Dormitorium leise über das Klosterleben herzuziehen.
    „Je nun!“, lästerte er, obwohl die Ordensregel Albernheiten, müßiges und zum Lachen reizendes Geschwätz verbot, „für mich steht seit heute fest, dass es in Saint-Polycarpe zweierlei Menschen gibt: Die einen, die sich an das karge Gebot des Heiligen Benedictus halten, und die anderen, die sogar in der Fastenzeit gebratenes Wild essen.“
    Unterdrücktes Prusten, aber auch ein vielfaches „Pst! Ruhe!“, drang unter elf härenen Decken hervor.
    „Gewiss, Bruder“, pflichtete ihm Damian bei, dankbar, dass Olivier die Strafe so leichtnahm, obwohl ihm bestimmt der Magen knurrte, „nach der Ordensregel ist der Genuss von Fleisch vierfüßiger Tiere verboten. Aber es heißt auch, der Abt und der Prior stünden darüber. Erst gestern, im Unterricht, haben wir dies vernommen.“
    „Sagte ich doch, Kleiner“, antwortete ihm Olivier. „Es gibt hier zweierlei Menschen, die besseren und die minderen.“

    Die Wände des Klosters waren dick, doch Bruder Bernard, der in einer Nebenzelle aufpasste, dass das Nachtlicht nicht das Bettstroh der Novizen in Brand setzte, legte wie jeden Abend das Ohr an den Spalt in der Mauer, der so ausgekratzt worden war, dass man fast jedes Wort, das drüben gesprochen wurde, verstand, selbst das geflüsterte. Die Gedanken der Novizen zu kennen, aber vor allem ein wachsames Auge auf die Einhaltung der klösterlichen Ordnung zu haben, erachtete Abt Boson für zwingend notwendig. Als Custodia , Betreuer und Bewacher der Novizen, stimmte Bernard mit dem Abt und dem Novizenmeister überein: Saint-Polycarpe war niemals eine Stätte der Unzucht und der schlechten Gewohnheiten gewesen; und unter seiner Aufsicht würden derlei Missstände auch niemals eintreten! Dennoch musste man es mit der Strenge nicht übertreiben. Über die „zweierlei Menschen“ hatte Bernard geschmunzelt. Oliviers Gier auf das Leben außerhalb der Klostermauern hatte sich offenbar noch immer nicht gelegt; man musste mit ihm Geduld haben.
    Bernard wollte sich gerade auf die andere Seite drehen, um zu schlafen, als er noch einmal Damians helle Stimme vernahm. Und was der Junge sagte, machte den Mönch sofort hellwach.
    „Ich will beileibe keinen neuen Streit entfachen, Bruder Olivier, doch weshalb hast du mich heute in deiner Wut 'elender Bastard` genannt?“
    Bernard rückte näher an die eisige Mauer heran. Grabesstille im Dormitorium. Die Stille vor dem Sturm? Gab es gleich eine neue Prügelei? Der Mönch zählte bis zehn ... Dann erhob er sich, eilte zur Verbindungstür und stellte sich dort auf die Zehenspitzen, um durch das Guckloch zu lugen.
    Damians Schlafplatz lag in der vorletzten Reihe, zwischen den Fenstern. Aufrecht saß der Junge auf seinem Lager. Weil das Nachtlicht brannte und obendrein der Mond durch einen Spalt des Holzladens hereinleuchtete, konnte Bernard auch die anderen Novizen erkennen. Fast alle hatten sich aufgesetzt. Ihre Gesichter schimmerten wie altes Silber.
    Bernard eilte zu seinem Lauschposten zurück, presste das Ohr an den Stein.
    „Warum antwortest du mir nicht, Bruder?“, hörte er Damians hohe, noch kindliche, aber dennoch hartnäckige Stimme. „Weshalb nanntest du mich heute einen Bastard?“
    Bernard wagte nicht, zu atmen. Diese Frage wollte auch er beantwortet wissen, denn über die Herkunft Damians, der unter dem Schutz des Abtes stand, war bislang nichts zu erfahren gewesen, weshalb im Kloster die Gerüchte wucherten wie das Geschwür am Hals, an dem im letzten Jahr Bruder Cesar starb.
    „Je nun, weil du ein Bastard bist“, antwortete Olivier unwirsch,
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