Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
einer Vespa. Aber nie auf so einer Maschine. Und schon gar nicht im Winter. Komisches Gefühl. Aber irgendwie auch cool. Severin greift hinter sich, nimmt meine Hände und legt sie um seine Taille.
»Gut festhalten!« Seine Stimme klingt gedämpft durch den Helm hindurch. »Und nicht loslassen! Bist du bereit?«
»Ja, alles okay.«
»Gut, dann los.« Er startet die Maschine, der Motor brüllt auf, er gibt Gas, und wir schießen nach vorne. Ich kann die Kraft des Motorrads spüren, als wir immer schneller und schneller werden und uns durch den Großstadtverkehr schlängeln. Um uns herum fliegen die bunten Lichter der nächtlichen Stadt vorbei, unter meinen Fingern spüre ich das Leder von Severins Jacke, und ich atme den Duft ein, den seine blonden Haare verströmen, die unter dem Helm hervorlugen. Ich lehne meinen Kopf an seinen Rücken und genieße das Kribbeln in meinem Bauch, das Lächeln, das sich plötzlich wie von selbst auf meinem Gesicht ausbreitet, und diese Wärme, die ich durch meine Adern strömen fühlen kann. Ich könnte ewig so mit ihm durch die Nacht fahren, nur wir beide auf dem Motorrad, niemand sonst auf der Welt.
Als Severin eine Ewigkeit später die Maschine vor einem teuer aussehenden Haus parkt, welches in den Nachthimmel hinaufragt und dessen Fassade von Scheinwerfern beleuchtet wird, ist unsere Fahrt vorbei. Das Gebäude ist von einem schmiedeeisernen Zaun eingefasst, hat viele kleine Balkone, große Fenster und einen noch größeren Eingang, zu dem ein Kiesweg hinführt. Wir steigen ab, trennen uns von unseren Helmen, und Severin streckt mir lächelnd seine Hand entgegen. Ich greife nach ihr und genieße das Gefühl, wie sich meine Haut an seine schmiegt.
»Was machen wir hier?«, frage ich neugierig.
»Genießen«, antwortet er und lächelt wieder verschmitzt.
»Genießen? Was denn?«
»Die Zeit, die wir miteinander haben.« Severin zieht einen klirrenden Schlüsselbund aus seiner Jackentasche, steckt einen funkelnden Schlüssel ins Schloss und lässt die große Eingangstür aufschwingen. Zögernd bleibe ich auf der Fußmatte stehen.
»Wohnst du hier etwa?«, frage ich fassungslos. Das kann nicht sein: Der Typ in den zerrissenen Jeans, den ausgetretenen Turnschuhen und der speckigen Lederjacke, der seine Zeit am liebsten in urigen Pubs oder in seinem Übungsraum verbringt, soll in solch einer Villa wohnen? Schwer vorstellbar!
Er schüttelt den Kopf. »Nein, ich wohne hier nicht.«
»Gut, das hätte auch nicht zu dir gepasst.«
»Aber meine Eltern.«
»Was?« , frage ich wieder erstaunt.
Er nickt und lacht über mein erschrockenes Gesicht. »Keine Angst, sie sind auf einer Geschäftsreise in Bologna. Jetzt komm schon rein.«
Zaghaft folge ich seiner Aufforderung und betrete eine kleine Empfangshalle, die mit kühlem Marmorfußboden ausgestattet ist. Vor mir windet sich eine Treppe ins nächste Stockwerk hinauf, rechts und links hängen große gerahmte Bilder an den hohen Wänden.
»Deine Eltern scheinen nicht sehr arm zu sein, oder?«, frage ich ehrfürchtig
»Mein Vater ist Börsenmakler. Ihm geht’s damit nicht ganz schlecht, da hast du recht. Aber ich mach mir nichts aus Geld, deswegen war ich auch froh, als ich hier raus war und in meine eigenen bescheidenen vier Wände ziehen konnte. Weißt du …«, er nimmt meine Hand und führt mich die Treppe hinauf, »… meine Eltern wollen, dass ich genauso erfolgreich werde wie sie und einen Job in der Wirtschaft antrete. Ich aber wollte immer Musiker werden, und dabei bleibe ich auch – egal, ob ich damit reich werde oder nicht. Ich will einfach nur zufrieden sein, verstehst du? Und Geld macht definitiv nicht glücklich!«
Severin stößt eine Tür auf, und wir betreten ein weitläufiges Zimmer, in dem ein riesiges Himmelbett steht. Während ich mich völlig benommen auf die weiche Matratze setze und staunend über den samtweichen Bezug streichle, zündet Severin die Kerzen in den vielen Wand- und Stehleuchtern an und taucht somit alles in ein romantisch schummriges Licht. Für einen kurzen Moment muss ich an mein Erlebnis mit Chris denken, das verpatzte Date und sein »Kompliment« mit der Orangenhaut … Aber bei Severin mache ich mir da irgendwie überhaupt keine Sorgen, denn immer wenn er mich mit diesem ganz bestimmten Blick ansieht, fühle ich mich absolut wohl in meiner Haut und überhaupt nicht mehr unsicher.
Dann zieht er seine Lederjacke aus und wirft sie über einen Stuhl, setzt sich neben mich. Seine Finger
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