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Jugend ohne Gott (German Edition)

Jugend ohne Gott (German Edition)

Titel: Jugend ohne Gott (German Edition)
Autoren: Ödön von Horvath
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der Diener fest, und nun erreichen wir den ersten Stock.
    Eine Tür ist offen, und ich höre Frauen lachen. Sie müssen im dritten Zimmer sitzen, denke ich. Sie trinken Tee.
    Der Diener führt mich links in einen kleinen Salon und bittet, Platz zu nehmen, er würde alles versuchen, bei der ersten passenden Gelegenheit.
    Dann schließt er die Türe, ich bleibe allein und warte. Es ist noch früh am Nachmittag, aber die Tage werden kürzer.
    An den Wänden hängen alte Stiche. Jupiter und Jo. Amor und Psyche.
    Marie Antoinette.
    Es ist ein rosa Salon mit viel Gold.
    Ich sitze auf einem Stuhl und sehe die Stühle um den Tisch herum stehen. Wie alt seid ihr? Bald zweihundert Jahre –
    Wer saß schon alles auf euch?
    Leute, die sagten: morgen sind wir bei Marie Antoinette zum Tee.
    Leute, die sagten: morgen gehen wir zur Hinrichtung der Marie Antoinette.
    Wo ist jetzt Eva?
    Hoffentlich noch im Spital, dort hat sie wenigstens ein Bett.
    Hoffentlich ist sie noch krank.
    Ich trete ans Fenster und schaue hinaus.
    Die schwarze Tanne wird immer schwärzer, denn es dämmert bereits.
    Ich warte.
    Endlich öffnet sich langsam die Türe.
    Ich drehe mich um, denn nun kommt die Mutter des T.
    Wie sieht sie aus?
    Ich bin überrascht.
    Es steht nicht die Mutter vor mir, sondern der T.
    Er selbst.
    Er grüßt höflich und sagt:
    »Meine Mutter ließ mich rufen, als sie hörte, daß Sie da sind, Herr Lehrer. Sie hat leider keine Zeit.«
    »So? Und wann hat sie denn Zeit?«
    Er zuckt müde die Achsel: »Das weiß ich nicht. Sie hat eigentlich nie Zeit.«
    Ich betrachte den Fisch.
    Seine Mutter hat keine Zeit. Was hat sie denn zu tun?
    Sie denkt nur an sich.
    Und ich muß an den Pfarrer denken und an die Ideale der Menschheit.
    Ist es wahr, daß die Reichen immer siegen?
    Wird der Wein nicht zu Wasser?
    Und ich sage zum T: »Wenn deine Mutter immer zu tun hat, dann kann ich vielleicht mal deinen Vater sprechen?«
    »Vater? Aber der ist doch nie zu Haus! Er ist immer unterwegs, ich seh ihn kaum. Er leitet ja einen Konzern.«
    Einen Konzern?
    Ich sehe ein Sägewerk, das nicht mehr sägt.
    Die Kinder sitzen in den Fenstern und bemalen die Puppen.
    Sie sparen das Licht, denn sie haben kein Licht.
    Und Gott geht durch alle Gassen.
    Er sieht die Kinder und das Sägewerk.
    Und er kommt.
    Er steht draußen vor dem hohen Tore.
    Der alte Pförtner läßt ihn nicht ein.
    »Sie wünschen?«
    »Ich möchte die Eltern T sprechen.«
    »In welcher Angelegenheit?«
    »Sie wissen es schon.«
    Ja, sie wissen es schon, aber sie erwarten ihn nicht. –
    »Was wollen Sie eigentlich von meinen Eltern?« höre ich plötzlich die Stimme des T.
    Ich blicke ihn an.
    Jetzt wird er lächeln, denke ich.
    Aber er lächelt nicht mehr.
    Er schaut nur.
    Ahnt er, daß er gefangen wird?
    Seine Augen haben plötzlich Glanz.
    Die Schimmer des Entsetzens.
    Und ich sage: »Ich wollte mit deinen Eltern über dich sprechen, aber leider haben sie keine Zeit.«
    »Über mich?«
    Er grinst.
    Ganz leer.
    Da steht der Wißbegierige wie ein Idiot.
    Jetzt scheint er zu lauschen.
    Was fliegt um ihn?
    Was hört er?
    Die Flügel der Verblödung?
    Ich eile davon.

Zu Hause liegt wieder ein blaues Kuvert. Aha, der Klub!
    Sie werden bestimmt wieder nichts vermerkt haben ich öffne und lese:
    »Achter Bericht des Klubs. Gestern nachmittag war der T im Kristall-Kino. Als er das Kino verließ, sprach er mit einer eleganten Dame, die er drinnen getroffen haben mußte. Er ging dann mit der Dame in die Y-Straße Nummer 67. Nach einer halben Stunde erschien er mit ihr wieder im Haustor und verabschiedete sich von ihr. Er ging nach Hause. Die Dame sah ihm nach, schnitt eine Grimasse und spuckte ostentativ aus. Es ist möglich, daß es keine Dame war. Sie war groß und blond, hatte einen dunkelgrünen Mantel und einen roten Hut. Sonst wurde nichts vermerkt.«
    Ich muß grinsen.
    Ach, der T wird galant; aber das interessiert mich nicht. Warum schnitt sie eine Grimasse?
    Natürlich war sie keine Dame, doch warum spuckte sie ostentativ aus?
    Ich geh mal hin und frage sie.
    Denn ich will jetzt jede Spur verfolgen, jede winzigste, unsinnigste –
    Wenn er nicht anbeißt, wird man ihn wohl mit einem Netz fangen müssen, mit einem Netz aus feinsten Maschen, durch die er nicht schlüpfen kann.
    Ich gehe in die Y-Straße 67 und frage die Hausmeisterin nach einer blonden Dame –
    Sie unterbricht mich sofort: »Das Fräulein Nelly wohnt Tür siebzehn.«
    In dem Hause wohnen kleine Leute, brave Bürger. Und ein
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