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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV
Autoren: Stanislaw Lem
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die die instrumentale Vernunft anstreben kann. Wenn ich alle denkbaren Konstruktionsaufgaben von der kleinsten bis zur größten Skala bespreche, dann war auch, und sei es nur um der Vollständigkeit des Verfahrens willen, die »Maximalaufgabe« einzufügen, der Umbau des Weltalls.
    Doch ich dachte gar nicht an eine solche Aufgabe. Es ist kaum zu glauben, zumal die Überschrift des entsprechenden Kapitels – »Kosmogonische Ingenieurkunst« – deutlich ein »technisch umgeschaffenes Weltall« anzukündigen scheint. Trotzdem war es nicht so. Die »kosmogonische Ingenieurkunst«, wie das Kapitel sie darstellt, soll eine Aufgabe von anderem, erheblich bescheidenerem Ausmaß sein. Es geht darin um die Aussonderung eines Ausschnitts der Wirklichkeit, um die Schaffung einer besonderen Enklave in der realen Welt, damit in ihr eine bestimmte »souveräne synthetische Welt« entstehen kann. Wozu? Mein Gedanke reduzierte sich darauf, den Prozessen vom Typ derer, die in Rechenmaschinen natürliche Phänomene simulieren, ein Maximum an Autonomie zu verleihen. Die vollkommene Nachahmung eines Phänomens sollte diesem in existentieller Hinsicht gleichkommen, die Simulation sollte souverän und zu einer »Realität sui generis« werden. Der Anfang des Weges war für mich die Rechenmaschine, die z. B. die Evolution des Lebens simuliert, und das Ende ein von der äußeren Welt unabhängiges System, das eine »synthetische Welt« und ihre »synthetischen Bewohner« einschloß. Mit einem Wort, es ging um die Umgestaltung der »Simulation« in die »Kreation«, der Nachahmung in das Erschaffen, denn das ist eines der Leitmotive des gesamten Buches.
    Erst beim Schreiben fiel mir plötzlich jene weitaus machtvollere Konzeption des »Kosmos als Technologie« ein, darum sprach ich sie nur als Abschweifung aus und verleugnete sie unverzüglich. Es war ein kritischer Moment für die »neue Idee«. Sie kam mir so unwahrscheinlich vor, daß sie keine sorgfältigere Prüfung verdiente. Und ich bin auch in Fachbüchern nie auf sie zurückgekommen.
    Jahre später transferierte ich die Idee auf literarisches Terrain. Der Umzug hatte indessen für sie eigentümlich entstellende Folgen. Die Literatur redet nicht von »nackten Möglichkeiten«, sondern von konkreten, wenn auch fiktiven Tatsachen. Ich wollte also meinen der Gesamtheit naturwissenschaftlicher Feststellungen widersprechenden Gedanken nicht als nebuloses Projekt für eine unbestimmte Zukunft präsentieren. Ich wollte nicht die »nackte Möglichkeit« präsentieren, sondern eine bestimmte, konkrete Gegenwart. Also nahm ich als Helden einen Wissenschaftler und legte ihm die Rede über die »Neue Kosmogonie« in den Mund, diesen Bericht über die Geschichte einer wissenschaftlichen Hypothese, die durch ihre Inthronisation in der entsprechenden Wissenschaft gekrönt wird. Inhalt der Hypothese konnte allerdings nicht die Prognose als Mutmaßung sein, irgendwelche vernünftigen Wesen würden sich künftig des Steuers der Kosmogonie bemächtigen. Also setzte ich zu Anfang voraus, gemäß der neuen Kosmogonie sei das Universum bereits einer totalen Transformation unterzogen worden und die Wissenschaft habe diesen Stand der Dinge enthüllt (die Gewißheit der Diagnose wird allerdings am Ende des Textes ironisch in Frage gestellt). Zur Hauptaufgabe wurde dadurch die Interpretation des Kosmos als einer intentionalen Schöpfung (»Id fecit Universum, cui prodest«) und damit die Erläuterung, wozu nach dem Willen der Hohen Ingenieure die wichtigsten Eigenschaften dienen sollen, die sie dem Kosmos gegeben haben. Welche instrumentale Bedeutung also die unumkehrbar verlaufende Zeit hat, wozu die Flucht der Spiralnebel dient, warum die höchst erreichbare Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit gleichgesetzt wurde, und last but not least, wie die Tatsache zu erklären ist, daß wir weder die Ingenieure selbst, also die Zivilisationen, noch die Folgen ihres Handelns im Kosmos wahrzunehmen vermögen. Die Umbenennung des sichtbaren Sternenkosmos in ein absichtlich umgestaltetes Objekt wurde mir durch den realen Umstand erleichtert, daß die Kriterien einer Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichem (durch die Kräfte der Vernunft oder durch die der Natur entstanden) nicht unveränderlich sind, weil sie nämlich vom instrumentalen Wissen des Unterscheidenden abhängen. Der gesunde Menschenverstand, der suggeriert, man könne die Werke der Natur ohne Schwierigkeit von denen der Zivilisation
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