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FreeBook Robert Musil Drei Frauen

Titel: FreeBook Robert Musil Drei Frauen
Autoren: Robert Musil
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aufmacht, wird ohne Kleider darunter seine weiße, schmale Gestalt sein, mit einer dünnen goldenen Kette und klingelnden Anhängseln daran. Und alles wird wie ein Tag gewesen sein, sie war dessen ganz sicher. So sehnte er sich nach Tonka, wie sie sich nach ihm gesehnt hatte. Oh, sie war nie begehrlich! Kein Mann lockte sie; es ist ihr lieber, wenn ihr einer den Hof macht, ein wenig ungeschickt weltschmerzlich auf die Gebrechlichkeit solcher Beziehungen hinweisen zu können. Und wenn sie abends aus dem Geschäft kommt, ist sie ganz ausgefüllt von seinen lärmenden, lustigen, ärgerlichen Erlebnissen; ihre Ohren sind voll, ihre Zunge spricht innerlich noch weiter; da ist kein kleinstes Plätzchen für einen fremden Mann. Aber sie fühlt, wohin das nicht reicht in ihr, dort ist sie überdies groß, edel und gut; kein Geschäftsmädel ist sie dort, sondern ebenbürtig und verdient ein großes Schicksal. Darum glaubte sie auch, trotz allen Unterschieds, ein Recht auf ihn zu haben; von dem, was er trieb, verstand sie nichts, das ging sie nicht an, sondern weil er im Grunde gut war, gehörte er ihr; denn auch sie war gut, und irgendwo mußte doch der Palast der Güte stehen, wo sie vereint leben sollten und sich niemals trennen.
    Aber was war diese Güte? Kein Tun. Kein Sein. Ein Schimmer, wenn sich der Reisemantel öffnet. Und die Zeit ging zu schnell. Er hielt sich noch an der Erde fest und hatte den Gedanken: ich glaube an dich! noch nicht mit Überzeugung ausgesprochen, er sagte noch: und wenn alles auch so wäre, wer könnte es denn wissen – da war Tonka tot.
     
     
XV
    Er hatte der Wärterin Geld geschenkt und sie hatte ihm alles erzählt. Tonka hatte ihn grüßen lassen.
    Da fiel ihm nebenbei ein wie ein Gedicht, zu dem man den Kopf wiegt, das war gar nicht Tonka, mit der er gelebt hatte, sondern es hatte ihn etwas gerufen.
    Er wiederholte sich diesen Satz, er stand mit dem Satz auf der Straße. Die Welt lag um ihn. Wohl war ihm bewußt, daß er geändert worden war und noch ein anderer werden würde, aber das war er doch selbst und es war nicht eigentlich Tonkas Verdienst. Die Spannung der letzten Wochen, die Spannung seiner Erfindung, versteht es sich recht, hatte sich gelöst, er war fertig. Er stand im Licht und sie lag unter der Erde, aber alles in allem fühlte er das Behagen des Lichts. Bloß wie er da um sich sah, blickte er plötzlich einem der vielen Kinder ringsum in das zufällig weinende Gesicht; es war prall von der Sonne beschienen und krümmte sich wie ein gräßlicher Wurm nach allen Seiten: da schrie die Erinnerung in ihm auf: Tonka! Tonka! Er fühlte sie von der Erde bis zum Kopf und ihr ganzes Leben. Alles, was er niemals gewußt hatte, stand in diesem Augenblick vor ihm, die Binde der Blindheit schien von seinen Augen gesunken zu sein; einen Augenblick lang, denn im nächsten schien ihm bloß schnell etwas eingefallen zu sein. Und vieles fiel ihm seither ein, das ihn etwas besser machte als andere, weil auf seinem glänzenden Leben ein kleiner warmer Schatten lag.
    Das half Tonka nichts mehr. Aber ihm half es. Wenn auch das menschliche Leben zu schnell fließt, als daß man jede seiner Stimmen recht hören und die Antwort auf sie finden könnte.
     
    ~ ENDE ~

Impressum
    Robert Musil: Drei Frauen. Novellen
    Dreiteiliger Novellenzyklus aus Grigia (1921), Die Portugiesin (1923) und Tonka (1922).
    eBook Originalausgabe
    © 02/2012 by eClassica
    Lektorat und Umschlaggestaltung: textkompetenz.net
    Bildnachweise:
    Cover-Motiv: © Silke Fülling, »Tänzerin«
    Innentitel-Motiv: Grafitto von Jef Aerosol am Musilhaus in Klagenfurt,
    vom Urheber in die Gemeinfreiheit gestellt
    Alle verwendeten Bilder gemeinfrei.
    Herausgeber: eClassica | AuraBooks
    [email protected]
    Alle Rechte für Vorwort, Covergestaltung und eBook-Design liegen bei
    eClassica | AuraBooks ( www.aurabooks.de )
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