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Exit

Exit

Titel: Exit
Autoren: Jonathan Kellerman
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hängen. Ich gab ihnen die Standardberatung und nannte ihnen Trauergruppen, an die sie sich wenden konnten, doch sie zeigten kein Interesse. Als sie anderthalb Jahre danach zurückkamen und mich baten, ihr zweites Baby zu behandeln, war ich echt überrascht.«
    »Wieso?«
    »Ich hätte erwartet, daß sie mich mit ihrer Tragödie in Verbindung bringen würden, einfach weil ich damit zu tun hatte.
    Als dem nicht so war, bildete ich mir ein, daß ich meine Sache gut gemacht hatte.«
    »Das hast du bestimmt.« Sie zuckte die Schultern.
    »Was war Ritas Reaktion, als du den Fall übernahmst?«
    fragte ich.
    »Was sollte sie machen? Sie war nicht da, als sie sie brauchten.
    Sie hatte damals ihre eigenen Probleme. Ihr Mann - du weißt doch, mit wem sie verheiratet war, oder?«
    »Otto Kohler.«
    »Der berühmte Dirigent - so hat sie ihn immer genannt.
    ›Mein Mann, der berühmte Dirigent.‹«
    »Er ist kürzlich gestorben, nicht wahr?«
    »Vor ein paar Monaten. Er war lange krank gewesen, eine Reihe von Schlaganfällen. Seitdem ist Rita noch öfter fort als gewöhnlich, und wir anderen haben ihre Arbeit zu machen. Meistens ist sie auf Konferenzen und hält ihre alten Vorträge. Jetzt will sie sich zur Ruhe setzen.« Stephanie lächelte verlegen.
    »Ich überlege, ob ich mich nicht um ihre Stelle bewerben soll.
    Kannst du dir das vorstellen, Alex, ich als Abteilungsleiterin?«
    »Sicher.«
    »Wirklich?«
    »Aber klar, Steph, warum nicht?«
    »Ich weiß nicht. Die Position ist irgendwie … von Natur aus autoritär.«
    »Zu einem gewissen Grad, ja«, sagte ich, »doch ich glaube, sie erlaubt durchaus verschiedene Führungsstile.«
    »Na ja«, sagte sie, »ich bin nicht sicher, ob ich eine gute Chefin abgeben würde. Ich mag es eigentlich nicht, Leuten zu erzählen, was sie zu tun haben … Wie auch immer - ich verliere den Faden. Die Erstickungsanfälle mit Bewußtlosigkeit wiederholten sich noch zweimal, bevor ich die psychische Seite wieder aufbrachte.«
    »Zwei weitere Anfälle«, wiederholte ich und schaute auf meine Notizen. »Das macht nach meiner Rechnung insgesamt fünf.«
    »Richtig.«
    »Wie alt war das Kind da?«
    »Fast ein Jahr. Und eine Krankenhausveteranin. Zwei weitere Einweisungen, keinerlei Befund. An diesem Punkt setzte ich mich mit der Mutter zusammen und empfahl eindringlich, einen Psychologen zu Rate zu ziehen. Worauf sie erwiderte … hier, ich lese dir vor, was sie sagte.« Sie öffnete die Akte und las mit leiser Stimme: »›Das ist sicher sinnvoll, Dr. Eves, aber ich weiß einfach, daß Cassie krank ist. Wenn Sie sie nur gesehen hätten, wie sie dalag, zyanotisch.‹ - Zitatende.«
    »So hat sie sich ausgedrückt? ›Zyanotisch‹?«
    »Ja. Sie hat einen medizinischen Hintergrund. Eine Ausbildung als Beatmungshelferin.«
    »Und zwei Kinder mit Atemstillstand. Interessant.«
    »Ja.« Stephanie lächelte bitter. »Nur war mir damals noch nicht klar, wie interessant. Ich war noch zu sehr damit beschäftigt, zu einer Diagnose zu kommen. Meine Sorge war, wann die nächste Krise eintreten würde und ob ich in der Lage sein würde, etwas dagegen zu tun. Zu meiner Überraschung passierte für eine Weile nichts.« Sie schaute wieder in die Akte.
    »Ein Monat verging, zwei, drei, immer noch kein Zeichen von ihnen. Ich freute mich, daß es dem Baby gutzugehen schien, doch ich fragte mich auch, ob sie sich nicht einfach an einen anderen Arzt gewendet hatten. Also rief ich sie zu Hause an, redete mit der Mutter. Alles bestens. In dem Moment fiel mir ein, daß ich in der ganzen Hektik die Einjahresuntersuchung vergessen hatte. Wir machten einen Termin aus, und ich fand das Kind völlig gesund, außer, daß es ein bißchen langsam war, was Lautbildung und Sprache anging.«
    »Wie langsam?«
    »Nicht wirklich zurückgeblieben. Es gab einfach kaum einen Laut von sich - eigentlich hörte ich gar nichts von ihm, und die Mutter sagte, daß es auch zu Hause recht still sei. Also überwies ich das Kind in die Sprach und Gehörlabors, wo man die hundertprozentige Normalität der Ohren und des Kehlkopfbereiches attestierte und meine Beurteilung unterstützte: mögliche leichte Entwicklungsstörung infolge Krankenhaustrauma. Ich gab der Mutter ein paar Hinweise, wie sie ihre Tochter zum Sprechen anregen könnte, und hörte die nächsten zwei Monate nichts mehr von ihnen.«
    »Das heißt, bis sie vierzehn Monate alt war«, sagte ich, während ich mir weiter Notizen machte.
    »Ja, und vier Tage danach waren sie wieder in
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