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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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abergläubisch, mein Sohn. Darum musst du dich nicht kümmern. Lies weiter.«
    Karain suchte die Stelle, an der er aufgehört hatte, und fuhr fort.
    »Aber am Rotlaubwald hatten sich die Klans versammelt, wie es bereits geschrieben stand. Ihr Anführer war Von, Großvater und Vater von Von. Ein Kampf, hieß es, und die Götter kämen hinunter und kämpften an ihrer Seite. Unter Krims Männern war Der-Die-Lanze-Trägt, und auf Seiten der Klans kämpften die, deren Namen ich nicht nennen kann. Das Gras war rot, und der Schweiß der Kämpfenden legte sich wie Nebel über das Schlachtfeld, als Krim die Lanze zu Boden legte und zu den Klans sprach. Für drei Tonnen Gold würde er mit seinen Männern nach Norden reiten und das Land zwischen den Bergen, dem Westwald und dem Meer befrieden. Und die Klans holten drei Tonnen Gold, denn sie waren müde und bluteten aus zahllosen Wunden. Das, sagen viele, war der Keim für die Klansfe… feh… Was steht hier?«
    Karain deutet auf die Kelszeichen, die ein für ihn unmögliches Wort zu bilden schienen. Vater beugte sich über das Pergament und hielt es unter das Licht der Öllampe.
    »Fehden, Klansfehden. Lies weiter.«
    Karain las das Wort noch einmal.
    »Klansfehden. So kauften sich die Klans und ihre Nachkommen in Krugant von der Belagerung frei. Viele sagen, die Klans hätten durch diese Handlung Scham auf sich geladen, denn sie seien dem Kampf ausgewichen und hätten Deni, den sie ihren Kriegsgott nennen, verhöhnt. Ich sage euch, Er wird sie das nächste Mal, wenn sie in den Kampf ziehen, nicht behüten.«
    Karain rollte den obersten Teil des Pergaments ein.
    »Hier ist es zu Ende, Vater. Und hier steht…«
    »Lies jedes einzelne Zeichen, Karain. Dann verstehst du schon, was da steht.«
    Karain hielt es unter das Licht und buchstabierte sich mit einem Krallenfinger durch den Text.
    »Niedergeschrieben von N-e-m-h-a-r, Schrift-g-e-1-e-h-r-t-e-r unter H-ø-v-e-r, König von Kels.«
    »Das ist richtig.« Vater nahm ihm das Pergament ab und rollte es zusammen. »Schriftgelehrter, wie du bald auch einer sein wirst. Hier in der Stadt können nur wenige schreiben und lesen, Karain, und wenn du erwachsen bist, wirst du das gut gebrauchen können. Die Menschen werden zu dir gehen, um einen Rat zu bekommen. Aber jetzt schlaf. Wir lesen an einem anderen Abend weiter.«
    Sein Vater nahm die Öllampe mit und stieg die Treppe hinunter. Karain hörte ihn mit Mutter sprechen, aber er vermochte die leisen Worte nicht zu verstehen. Er kroch unter seine Decke und legte seinen Kopf auf das Sackleinen, das er als Kissen nutzte. Die alten Geschichten ließen in ihm immer das gleiche Gefühl aufkommen, wie wenn er auf der Mole stand und über das Meer blickte. Dort, wo das Meer endete und die Geschichten aufhörten, musste es doch etwas anderes geben – fremde Länder und andere Zeiten. Jetzt begann seine Mutter ein Schlaflied zu singen, wie sie es jeden Abend getan hatte, seit Avn geboren war. Es handelte von den »verschwundenen Drachen«, die vor langer Zeit auf den Ebenen gelebt hatten. Nur Kelsmänner und die Krieger der Ebene glaubten noch immer an diese Sage, aber die Melodie eignete sich gut zum Einschlafen. Karain schaute an die Decke und ließ die Schatten zu Figuren werden, genau wie die Worte auf dem Pergament. Ritter und Schwertträger, mächtige Kämpfe auf der Ebene. Er schloss die Augen und stellte sich vor, einer von ihnen zu sein. Er ritt, einen Bogen auf dem Rücken, einen Dolch unter dem Gürtel und einen Speer in der Hand, über die Hügel. Schneller und schneller ging es im Takt der Hufe, die wie ein Trommelwirbel klangen. Immer schneller, bis er vom Boden abhob, denn das Pferd war verschwunden, er war kein Reiter mehr. Schwarze Schwingen trugen ihn zum Schlachtfeld.
     
    Unmittelbar nach dem Frühstück am nächsten Morgen kam der Zimmermann und berichtete ihnen, dass das Material erst später kommen würde. Das Schiff aus dem Rotlaubwald war noch nicht in Sicht, sagte er, und so gab der Böttcher seinen Söhnen für den Rest des Tages frei. Karain erzählte von seinem Traum, und kurz darauf rannten die Brüder mit ausgestreckten Armen auf dem Innenhof herum und spielten Vögel. Arga war eine große Mantelmöwe, Mir lief in Kreisen umher und streckte seinen Hals wie ein Schwan, und Karain war der Rabe. Als sich der Böttcher über den Lärm beschwerte, führte Karain seine Geschwister auf die Straße hinaus. Sie nahmen den Weg zum Wirtshaus hinunter, wobei sie die ganze
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