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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder
Autoren: Juliet Marillier
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nicht zum Krieger bestimmt war. Mein Vater, reich an Söhnen, akzeptierte dies widerwillig. Er verstand vielleicht, dass ein Gelehrter in der Familie auch von Nutzen sein konnte. Es gab immer Chroniken zu verfassen, Bücher zu führen und Karten zu zeichnen, und meines Vaters Schreiber wurde langsam alt. Daher fand auch Conor seinen Platz im Haushalt und nahm ihn zufrieden ein. Seine Tage waren erfüllt, aber er hatte immer Zeit für Finbar und mich. Wir drei standen einander sehr nahe, verbunden durch unseren Wissensdurst und ein tiefes, unausgesprochenes Verständnis.
    Was Padraic angeht, er war bei allem geschickt, aber am wichtigsten war ihm, Dinge zu untersuchen und herauszufinden, wie sie funktionierten; er konnte Fragen stellen, bis es einen schier um den Verstand brachte. Padraic war der einzige, der hin und wieder zu Vater durchdrang; manchmal konnte man den Hauch eines Lächelns auf Colums ernstem Gesicht sehen, wenn er seinen jüngsten Sohn betrachtete. Mich lächelte er nicht an. Und Finbar auch nicht. Finbar sagte, das läge daran, dass wir ihn an unsere Mutter erinnerten, die gestorben war. Wir waren die einzigen unter Colums Kindern, die ihr lockiges, wildes Haar geerbt hatten. Ich hatte ihre grünen Augen und Finbar ihre Begabung zu schweigen. Außerdem hatte ich sie getötet, indem ich geboren wurde. Kein Wunder, dass es Vater so schwer fiel, mich anzuschauen. Aber wenn er mit Finbar sprach, stand eisige Kälte in seinem Blick. Ganz besonders bei einer Gelegenheit. Das war nicht lange, bevor sie kam und sich unsere Leben für immer veränderten. Finbar war fünfzehn; noch kein Mann, aber auch kein Kind mehr.
    Vater hatte uns alle zu sich gerufen, und wir waren in der großen Halle versammelt. Finbar stand kerzengerade vor Lord Colums Sessel und wartete auf das rituelle Verhör. Liam und Diarmid waren inzwischen junge Männer, und daher ersparte man ihnen diese Prüfungen. Aber auch sie waren anwesend, weil sie wussten, dass das den Rest von uns tröstete.
    »Finbar. Ich habe mit deinen Lehrern gesprochen.«
    Schweigen. Finbar schien mit seinen großen, grauen Augen direkt durch Vater hindurchzusehen.
    »Ich höre, dass du deine Fähigkeiten gut entwickelst. Das erfreut mich.« Trotz dieser Lobesworte war Vaters Blick kalt, sein Ton abweisend. Liam warf Diarmid einen Blick zu, und Diarmid verzog das Gesicht, als wollte er sagen Jetzt kommt es.
    »Deine Einstellung allerdings lässt viel zu wünschen übrig. Man erzählt mir, dass du diese Ergebnisse erreicht hast, ohne große Anstrengung oder Interesse an den Tag zu legen, und dass du häufig ohne Grund bei den Übungen fehlst.«
    Eine weitere Pause. Zu diesem Zeitpunkt wäre es wahrscheinlich eine gute Idee gewesen, irgendetwas zu sagen, nur um den Ärger zu vermeiden; »Ja Vater«, hätte genügt. Finbars vollkommenes Schweigen war schon eine Beleidigung an sich.
    »Wie erklärst du das, Junge? Und spar dir deine unverschämten Blicke, ich möchte eine Antwort!«
    Vater beugte sich vor, brachte sein Gesicht näher an das von Finbar heran, und seine Miene ließ mich schaudern und näher zu Conor rücken. Es war ein Blick, der auch einen erwachsenen Mann erschreckt hätte.
    »Du bist nun alt genug, um dich zu deinen Brüdern an meine Seite zu gesellen, zumindest solange ich hier bin, und in nicht allzu langer Zeit auch im Feld. Aber im Krieg gibt es keinen Platz für Dummdreistigkeit. Ein Mann muss lernen zu gehorchen, ohne Fragen zu stellen. Also sprich! Wie willst du dieses Verhalten erklären?«
    Aber Finbar hatte nicht vor zu antworten. Wenn ich nichts zu sagen habe, werde ich nicht sprechen. Ich wusste, dass er diese Gedanken im Kopf hatte. Ich umklammerte Conors Hand. Wir hatten Vater schon früher zornig gesehen. Es wäre dumm, so etwas herauszufordern.
    »Vater«, mischte sich Liam ein. »Vielleicht …«
    »Genug!« befahl Vater. »Dein Bruder braucht niemanden, der für ihn spricht. Er hat eine Zunge und einen eigenen Kopf – soll er beides benutzen!«
    Finbar wirkte vollkommen gelassen. Nur ich, die jeden Atemzug mit ihm geteilt hatte, die jeden Augenblick des Schmerzes oder der Freude kannte, die er durchlebt hatte, als wären es meine eigenen Empfindungen, spürte die Anspannung in ihm und verstand den Mut, den es brauchte, überhaupt etwas zu sagen.
    »Ich werde dir antworten«, sagte er ganz ruhig. »Zu lernen, wie man mit einem Pferd umgeht und Schwert und Bogen benutzt, ist ehrenwert. Ich kann diese Fähigkeiten benutzen, um mich
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