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Die Schuld

Titel: Die Schuld
Autoren: John Grisham
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Vorstrafenregister?«
    »Du weißt, dass man sich nur selten auf den ersten Eindruck verlassen kann, Paulette.«
    »Vor zwei Tagen bekam Jermaine einen ähnlichen Fall - kein Motiv.«
    »Davon habe ich nichts gehört.«
    »Vielleicht solltest du es mal mit ihm versuchen. Er ist ehrgeizig und noch nicht lange im Geschäft. Wer weiß, möglicherweise kannst du den Fall auf ihn abwälzen.«
    »Ich werde mich sofort darum kümmern.«
    Jermaine war nicht im Haus. Aber aus irgendeinem seltsamen Grund stand die Tür von Glendas Büro einen Spaltbreit offen, und so klopfte Clay kurz an und trat dann ein. »Haben Sie einen Augenblick Zeit?«, fragte er, obwohl ihm klar war, dass es seiner Chefin verhasst war, auch nur eine Minute mit ihren Untergebenen zu verbringen. Glenda erledigte ihren Job ganz passabel. Sie organisierte die Arbeitsabläufe und hielt die Gelder zusammen, doch am wichtigsten war, dass sie sich um die politischen Angelegenheiten im Rathaus kümmerte. Aber eigentlich mochte sie die Menschen nicht, und deshalb zog sie es vor, sich hinter ihrer Bürotür zu verschanzen.
    »Natürlich«, antwortete Glenda, ohne dass es auch nur im Geringsten überzeugend geklungen hätte. Es war unübersehbar, dass ihr die Störung nicht behagte, und genau damit hatte Clay auch gerechnet.
    »Ich war heute Morgen zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort und habe wieder einen Mordfall angehängt bekommen, den ich lieber abgeben würde. Ich habe gerade erst den Fall Traxel abgeschlossen, und Sie wissen ja, dass mich diese Geschichte drei Jahre in Anspruch genommen hat. Was Mord angeht, könnte ich mal eine kleine Pause gebrauchen. Wie wär's denn mit einem der jüngeren Kollegen?«
    »Sie wollen kneifen, Mr Carter?«, fragte Glenda stirnrunzelnd.
    »Allerdings. Mal wieder ein paar Monate Drogendelikte und Einbrüche. Um mehr bitte ich Sie gar nicht.«
    »Und wer soll Ihrer Meinung nach den Fall… Wie heißt der Angeklagte?«
    »Tequila Watson.«
    »Ah, Tequila Watson. Also, Mr Carter, wem hatten Sie den Fall Watson zugedacht?«
    »Ist mir eigentlich egal. Ich brauche nur einfach eine kleine Atempause.«
    Glenda lehnte sich in ihrem Bürosessel zurück wie eine weise alte Vorstandsvorsitzende und begann, auf dem hinteren Ende ihres Stifts herumzukauen. »Ist das nicht bei uns allen so, Mr Carter? Brauchen wir nicht alle eine kleine Atempause?«
    »Ja oder nein?«
    »Wir haben achtzig Rechtsanwälte, Mr Carter, von denen nur etwa die Hälfte die für Mordfälle nötigen Voraussetzungen mitbringt. Von denen hat jeder mindestens zwei solche Fälle am Hals. Übergeben Sie Ihren Fall einem Kollegen, wenn Sie es schaffen - aber ich werde mich nicht einschalten.«
    Auf dem Weg zur Tür drehte sich Clay noch einmal um. »Übrigens, eine Gehaltserhöhung könnte ich auch brauchen. Wenn Sie die Güte hätten, sich damit zu befassen.«
    »Nächstes Jahr, Mr Carter. Nächstes Jahr.«
    »Ein Anwaltsassistent wäre auch hilfreich.«
    »Nächstes Jahr.«
    Und so blieb die Akte Tequila Watson auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch von Jarrett Clay Carter II.
3
    D as Gebäude war ein Gefängnis, und obwohl es der modernen Architektur entsprach und von einigen stolzen Stadtoberen mit großem Pomp eingeweiht worden war, blieb es das auch. Es entsprach den neuesten Sicherheitsstandards und war mit allem möglichen technischen Schnickschnack ausgerüstet. Gebaut für das nächste Jahrhundert, effizient, sicher und human, aber vom ersten Tag an überbelegt. Schon von außen verbreitete der an einer Seite fensterlose Betonklotz eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Innen waren die von zahllosen Wärtern beaufsichtigten Kriminellen auf engstem Raum zusammengepfercht. Weil es sich besser anhörte, hatte man den von den Architekten geprägten Projektnamen »Strafjustizzentrum« übernommen, doch auch dieser zeitgemäße Euphemismus konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Wunderwerk der Baukunst ein Gefängnis war.
    Für Clay Carter war das Gefängnis vertrautes Terrain, da er fast alle seine Mandanten hier traf, nachdem sie verhaftet worden waren und bevor sie gegen Zahlung einer Kaution wieder freigelassen wurden - falls sie sie bezahlen konnten. Etliche waren dazu nicht in der Lage. Obwohl bei den Verbrechen vieler seiner Mandanten keine Gewalttätigkeit im Spiel war, wurden sie - ungeachtet von Schuld oder Unschuld so lange weggeschlossen, bis sie ihren letzten Gerichtstermin hinter sich gebracht hatten. Tigger Banks hatte fast acht
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