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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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schlimmsten aber war: Die Angreifer waren verdammt couragiert gewesen. Beeindruckend dieser Mann mit dem Gewehr, der plötzlich über den Platz gerannt war, aber auch die junge Frau mit der Sten-MP, die ihm Feuerschutz gegeben hatte, und ganz besonders die kleine Blonde, die den verwundeten Schützen geborgen und aus der Gefahrenzone geschleppt hatte – einen Mann, der gut fünfzehn Zentimeter größer war als sie! Solche Leute stellten zweifellos eine ernste, wachsende Bedrohung für die Besatzungstruppen dar und waren von anderem Kaliber als die Kriminellen, mit denen es Franck vor dem Krieg als Polizist in Köln zu tun gehabt hatte. Kriminelle waren dumm, faul, feige und brutal. Diese französischen Widerständler waren echte Kämpfer.
    Doch dank ihrer Niederlage eröffnete sich ihm nun eine Chance, wie er sie nicht alle Tage bekam.
    Als er sicher war, dass keine Schüsse mehr fallen würden, rappelte er sich auf und half auch Stephanie wieder auf die Füße. Ihre Wangen waren gerötet, und ihr Atem ging schwer. Sie hielt seine Hände und sah ihm ins Gesicht. »Du hast mich beschützt«, sagte sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Du hast mich mit deinem Körper abgeschirmt.«
    Er wischte Straßenstaub von ihrer Hüfte. Seine Ritterlichkeit überraschte ihn selbst. Er hatte rein instinktiv gehandelt. Wenn er genauer darüber nachdachte, kamen ihm durchaus Zweifel, ob er tatsächlich bereit gewesen wäre, sein Leben für Stephanie zu opfern. Er versuchte, die Sache leichthin abzutun. »Einem so vollendeten Körper sollte kein Schaden zugefügt werden«, sagte er.
    Stephanie fing an zu weinen.
    Er nahm sie an der Hand und führte sie über den Platz zum Tor. »Gehen wir rein«, sagte er. »Da kannst du dich für ein Weilchen setzen.« Sie betraten das Schlossgelände. Ein Loch in der Kirchenmauer fiel Franck ins Auge. Jetzt wusste er, wie der Stoßtrupp hereingekommen war.
    Die Männer von der Waffen-SS hatten das Chateau inzwischen verlassen und waren gerade dabei, die Angreifer zu entwaffnen. Franck sah sich die verbliebenen Widerstandskämpfer genau an. Die meisten waren tot, einige nur verwundet, ein oder zwei schienen sich unverletzt ergeben zu haben. Immerhin: ein paar, die man verhören konnte.
    Bisher war seine Arbeit defensiv angelegt gewesen. Er hatte nicht viel mehr tun können, als die Sicherheitsvorkehrungen bei bestimmten Schlüsseleinrichtungen zu verstärken. Zwar gab es hie und da einen Gefangenen zu verhören, doch war dabei bisher kaum etwas herausgekommen. Aber mehrere Gefangene, die offensichtlich alle ein und derselben gut organisierten Zelle angehörten – das war schon etwas anderes.
    Jetzt kann ich vielleicht endlich mal in die Offensive gehen, dachte er in gespannter Erwartung.
    »He, Sie da!«, rief er einem SS-Mann zu. »Holen Sie einen Arzt für die Gefangenen! Ich will sie verhören. Und sorgen Sie dafür, dass sie am Leben bleiben, alle!«
    Obwohl Dieter Franck keine Uniform trug, schloss der SS-Mann aus seinem Auftreten, dass er einen höheren Offizier vor sich hatte, und sagte: »Jawohl. Wird gemacht.«
    Franck führte Stephanie die Treppe hinauf und durch den prunkvollen Eingang in die große Empfangshalle. Ein atemberaubender Anblick bot sich ihnen: Der Boden bestand aus rosa Marmor, die hohen Fenster waren mit erlesenen Vorhängen versehen, die Wände mit Stukkaturen etruskischer Motive in matten Grün- und Rosatönen verziert, die Decke schmückten aufgemalte Engel, die schon etwas verblasst waren. Früher waren die Räume sicher fantastisch möbliert, dachte Franck: kleine Tischchen oder Konsolen unter hohen Spiegeln, Kredenzen mit Messingbeschlägen, zierliche Stühle mit vergoldeten Beinen, Ölgemälde, riesige Vasen, Marmorstatuetten. Von all der Pracht war natürlich nichts übrig geblieben. Stattdessen reihenweise Schalttafeln, und vor jeder stand ein Stuhl. Das Kabelknäuel auf dem Boden sah aus wie ein Schlangennest.
    Die Telefonistinnen und Funker schienen im hinteren Teil des Schlossparks Zuflucht gesucht zu haben. Nun, da die Schießerei vorüber war, standen einige von ihnen vor den verglasten Türen und waren sich offenbar noch nicht schlüssig, ob sie das Gebäude schon wieder gefahrlos betreten konnten. Manche trugen noch ihre Kopfhörer oder Brustmikrofone. Franck setzte Stephanie an eines der Schaltbretter und winkte eine Telefonistin mittleren Alters herbei. »Madame«, sagte er in höflichem, aber bestimmtem Ton auf Französisch, »bitte bringen Sie
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