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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Autoren: Katharina Hacker
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er sonst hinuntergeschleudert würde in das Dunkel, das die Zimmer voller Gelächter und Gesumm zu umlagern schien. Wenn Ginka jemanden verabschiedete, fand sie Sätze, die ihre Gäste wie über eine schiefe Ebene wieder in ihre Ehen und Bündnisse zurückgleiten ließ, nicht ohne den Stachel der Unzufriedenheit, aber fügsam gewillt, neben dem in die Nacht hinauszutrotten, mit dem sie gekommen waren. Die echten Singles versuchte sie zu verkuppeln, auch darin war ihr Instinkt unschlagbar, obwohl sie Isabelle gegenüber zugab, daß es inkonsequent war, den matchmaker zu spielen und danach zu beklagen, daß es weniger und weniger Singles gab. Vor Isabelle machte Ginka nicht halt, allerdings mischten sich ihre Angebote mit der Drohung, sie würde Isabelle die Tür weisen, sollte sie es wagen, eine Langweilerin zu werden wie all die anderen Frauen Anfang dreißig, die plötzlich heirateten, Kinder in die Welt setzten und womöglich aufhörten zu arbeiten.
    Andras legte seine Hand auf ihr Knie. –Nimm es nicht so schwer. Am Ende sind es weniger Tote, als sie jetzt glauben. Seine sonst so angenehme, ruhige Stimme klang hohl, er fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar, über das etwas zu breite Gesicht. Sie folgte seinem Blick, der auf ihre Schuhe geheftet war. Es war nicht das World Trade Center, was ihn beunruhigte, es waren die neuen Schuhe, die Anspannung, die von Isabelle ausging, Wellen, die sein Empfangsgerät auffing, ohne sie deuten, ohne sie verarbeiten zu können. Isabelle erinnerte ihn an ein gefangenes Tier, das täuschend reglos blieb, um seinen Ausbruchsversuch vorzubereiten, fühllos für alles andere als die eigene Entscheidung. –Isabelle? Sie nahm die Tasse, wärmte ihre Hände daran. Er wagte nicht, sie nach Ginkas Party zu fragen. Sie war gestern direkt aus dem Büro nach Charlottenburg gefahren, ohne vorher nach Hause zu gehen und sich umzuziehen, in Jeans, den Sneakers, in einem braungelb geringelten T-Shirt. Andras konnte nicht übersehen, daß die meisten Männer ebenso empfänglich waren für Isabelle wie er selbst, den sie von Anfang an wie einen älteren Bruder behandelt hatte, zutraulich, manchmal herablassend neckte sie ihn, quälte ihn, wie man jemanden quälte, dessen man sich sicher war. Zum hundertsten Mal fragte er sich, warum er nicht nach Budapest zurückkehrte, seine paar Sachen zusammenpackte und losfuhr, ohne sich noch einmal umzudrehen, direkt nach Budapest, wo sein Schwager La´szlo´ mit ihm eine Werbe- und Grafikagentur aufmachen wollte. Eine Zeitlang hatte er sich eingeredet, daß er La´szlo´ s Enthusiasmus nicht traute oder daß er den Gedanken, zu seinen Eltern zu ziehen, in das Haus, aus dem er mit vierzehn Jahren zu seinem Onkel und seiner Tante nach Deutschland geschickt worden war, unerträglich fand. Aber er wußte, daß er sich etwas vormachte.
    –Gestern um die gleiche Zeit, brach Isabelle endlich ihr Schweigen und verstummte wieder. Andras schüttelte den Kopf. Irgend jemand würde für das bezahlen, was geschehen war, irgend jemand würde den Preis dafür bezahlen, daß sich hier, egal ob in Deutschland oder den USA, die Leute fühlten, als hätte man sie der ihnen zustehenden Wirklichkeit beraubt. Es wird Wirklichkeit in die Welt gebombt werden, dachte er, bis die Leute hier wieder beruhigt sind, beruhigt in der alten Ungerechtigkeit, die ihnen vertraut und angenehm ist. –Irgend jemand wird bezahlen, sagte er schließlich, und bestimmt nicht diejenigen, die verantwortlich sind.
    Isabelle sah ihn an und hatte Tränen in den Augen. –Bis sie tot waren, ich meine, sie müssen solche Angst gehabt haben. Vor sich sah sie Jakob, sah ihn plötzlich, wie er in Freiburg neben ihr über den Uni-Hof ging, neben ihr im Hörsaal saß. Er war dem Tod entgangen. Sie hätte von seinem Tod nie erfahren, hätte sich nicht mehr an ihn, verschwunden in der Gleichgültigkeit ihres Vergessens und der seines Todes, erinnert. Andras stand auf, um ihr ein Taschentuch zu holen. Er war ärgerlich. Er kam zurück, wischte ihr behutsam die Tränen ab und reichte ihr das Taschentuch. Sie sah wirklich unglücklich aus, unglücklich und schuldbewußt wie damals, als sie endlich begriffen hatte, warum Hanna sich den Schädel rasierte. Aber das war fünf oder sechs Jahre her, und seither war sie erwachsener geworden. –Komm heute abend zu mir, ich mache uns etwas zu essen. Gulasch, wenn du willst. Er stand auf und trat ans Fenster. Die Dircksenstraße entlang gingen drei Männer und zwei
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