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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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hätte Helmut Kohl wohl für ein Spektakel daraus gemacht? Seine Nachfolgerin traf eine deutsch-französische Studentengruppe. Auch der französische Präsident François Hollande war dabei, mit dem sich die deutsche Kanzlerin bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal öffentlich duzte. Während der anderthalb Stunden ließ Hollande kaum eine Gelegenheit aus, die Kanzlerin mit seinen europapolitischen Wünschen zu konfrontieren. Ein europaweites Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit müsse her, am besten durch die geplante Steuer auf Finanzgeschäfte finanziert. Überhaupt sei der Gemeinschaftsetat mit rund einem Prozent des europäischen Sozialprodukts doch bedenklich niedrig angesetzt.
    Vielleicht auch wegen dieses schroffen Tons wartete Merkel am Schluss mit einer erstaunlichen Bemerkung auf: Sie bedaure, dass sie des Französischen nicht mächtig sei. Auch biete ihre jetzige berufliche Betätigung zu wenig Freiraum, um das Versäumte nachzuholen. »Ich glaube, dass man Frankreich nur verstehen kann, wenn man die Sprache spricht«, fügte sie hinzu. War es wirklich nur eine Aufforderung an die anwesenden Jugendlichen, das Idiom des Nachbarlandes zu erlernen? Oder wollte sie damit sagen, wie fremd ihr die Franzosen am Ende doch geblieben sind? Es trug jedenfalls zu dem nüchterngeschäftsmäßigen Gesamtbild bei, das von den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags ausging.
    Dabei sollte es äußerlich so locker wirken, wie Merkel und Hollande im »Amphitheater« des Kanzleramts auf unbequemen Hockern saßen und der Franzose etwas unbeholfen witzelte, über solch großzügige Räumlichkeitenverfüge sein in Wahrheit doch recht prachtvoller Elysée-Palast gar nicht. Vielleicht ist es auch ganz normal, wenn die Regierungen in Berlin und Paris ihre unterschiedlichen Interessen ganz offen artikulieren. »Dass wir hier so schön streiten können, zeigt doch, dass Europa schon fast Innenpolitik ist«, sagte Merkel im November 2012 vor dem Europaparlament, und in ähnlicher Form hat sie den Satz oft wiederholt. Deshalb hatte sie in Frankreich ja für den Vorgänger Nicolas Sarkozy Wahlkampf gemacht. Das kam jenseits des Rheins allerdings nicht so gut an, weshalb Sarkozy in der letzten Phase vor der Wahl auf Merkels Hilfe lieber verzichtete.
    Merkels Wort von der europäischen Innenpolitik bedeutet aber nicht, dass sie auf einen machtvollen Einheitsstaat hinarbeitet. Sie ist recht zufrieden mit dem Status quo, der den Regierungschefs der Einzelstaaten das letzte Wort in den entscheidenden Fragen lässt. Das Prinzip der Einstimmigkeit bewahrt Deutschland am Ende davor, von den Begehrlichkeiten einer Mehrheit überrollt zu werden. Aber Merkels Skepsis erklärt sich nicht nur daraus, dass sie ihre eigenen Interessen im Kreis der Kollegen am besten durchsetzen kann. Sie ist auch Realistin genug, um die Schwierigkeiten zu kennen, die sich einer Änderung der europäischen Verträge entgegenstellen. Das hat sie spätestens in den schwierigen Verhandlungen um den Lissabon-Vertrag gelernt, die sie als fast einzige der amtierenden europäischen Kollegen noch selbst miterlebt hat.

KAPITEL 11:
DÄMMERUNG
    Die Mathematik spricht gegen Angela Merkel. Nach zwei Wahlperioden ist die politische Energie eines deutschen Spitzenpolitikers in der Regel verbraucht. Im Kanzleramt ist das bei Helmut Schmidt und Gerhard Schröder so gewesen, Helmut Kohl hätte ohne die Wiedervereinigung dieselbe Erfahrung gemacht: Womöglich wäre er schon auf dem CDU-Parteitag 1989 gestürzt worden, spätestens die Bundestagswahl 1990 hätte er wohl gegen den jungen und dynamischen Oskar Lafontaine verloren, der damals noch als pragmatischer Wirtschaftspolitiker galt.
    Unter den Ministerpräsidenten sind die Beispiele noch viel zahlreicher. Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit ist in seiner dritten Wahlperiode politisch nur noch ein Schatten seiner selbst, der hessische Ministerpräsident Roland Koch wurde nach zwei Amtszeiten von einer unerfahrenen SPD-Kandidatin seiner Mehrheit beraubt und nur durch deren Ungeschick gerettet. Und der Versuch des niedersächsischen Kollegen Christian Wulff, sich vor einem ähnlichen Schicksal ins Berliner Präsidentenschloss zu retten, ist gründlich schief gegangen.
    Der Machtverfall hat viele Gründe. Wenn die alten Gegner besiegt sind, frisst sich der politische Zersetzungsprozess allmählich durch die Reihen der einstigen Getreuen hindurch. Merkel hätte seinerzeit sicher nicht von einem Glücksfall
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