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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Marja Ignatjewna. Sie wollte gern so bald als möglich feststellen, ob das wahr sei, was ihr gestern ihr Mann, vor Angst sinnlos, beinah fieberhaft phantasierend, zugeflüstert hatte: daß Peter Stepanowitsch im gemeinsamen Interesse auf einen Selbstmord Kirillows rechne.
    Aber sie kam zu Marja Ignatjewna bereits zu spät: als diese die Wärterin fortgeschickt hatte und allein geblieben war, hatte sie es nicht mehr aushalten können, war vom Bette aufgestanden, hatte sich ein paar Kleidungsstücke, wie sie ihr gerade in die Hand kamen, angezogen, wie es scheint, sehr leichte und für die Jahreszeit nicht passende, und hatte sich selbst in das Seitengebäude zu Kirillow begeben, in der Vorstellung, er werde ihr vielleicht noch am ehesten etwas über ihren Mann mitteilen können. Man kann sich vorstellen, wie das, was sie dort erblickte, auf die Wöchnerin wirkte. Beachtenswert ist, daß sie das von Kirillow vor seinem Selbstmorde geschriebene Dokument, das offen auf dem Tische lag, nicht las, gewiß, weil sie es in ihrem Schrecken übersehen hatte. Sie eilte in ihr Zimmer zurück, ergriff das Kind und ging mit ihm aus dem Hause auf die Straße. Der Morgen war feucht, und es herrschte ein dichter Nebel. Auf Passanten stieß sie in einer so öden Straße nicht. Atemlos lief sie durch den kalten, morastigen Schmutz immer weiter und begann schließlich an die Häuser zu klopfen; in dem einen Hause wurde ihr nicht geöffnet; auch beim zweiten dauerte es ihr zu lange, und sie stürzte ungeduldig weiter und begann am dritten zu pochen. Dies war das Haus unseres Kaufmanns Titow. Hier rief sie große Aufregung hervor; sie jammerte und versicherte in unzusammenhängenden Worten, daß ihr Mann ermordet sei. Schatow und zum Teil auch seine Lebensgeschichte waren der Familie Titow einigermaßen bekannt: sie waren bestürzt und erschrocken, daß die Frau, die nach ihrer Angabe eben erst tags zuvor niedergekommen war, in solchem Anzuge und bei solcher Kälte auf den Straßen umherlief, mit dem kaum eingehüllten kleinen Kinde auf dem Arme. Sie dachten zuerst, das seien bei ihr nur Fieberphantasien, um so mehr, da sie schlechterdings nicht herausbringen konnten, wer denn nun eigentlich ermordet sei: Kirillow oder ihr Mann. Da sie merkte, daß man ihr nicht glaubte, wollte sie weiterlaufen; aber man hielt sie mit Gewalt fest, wobei sie schrecklich geschrien und sich gewehrt haben soll. Man begab sich nach dem Filippowschen Hause, und zwei Stunden darauf waren Kirillows Selbstmord und der Zettel, den er vor seinem Tode geschrieben hatte, in der ganzen Stadt bekannt. Die Polizei kam zu der Wöchnerin, die noch bei Besinnung war; hierbei stellte sich auch heraus, daß sie Kirillows Zettel nicht gelesen hatte; woraus sie aber eigentlich geschlossen hatte, daß auch ihr Mann ermordet sei, das war aus ihr nicht herauszubekommen. Sie schrie nur, wenn der ermordet sei, dann sei auch ihr Mann ermordet; die beiden seien zusammengewesen. Gegen Mittag verfiel sie in Bewußtlosigkeit, aus der sie nicht mehr wieder zu sich kam; nach drei Tagen starb sie. Das Kind, welches sich erkältet hatte, war noch vor ihr verschieden. Arina Prochorowna, welche Marja Ignatjewna und das Kind nicht im Zimmer gefunden hatte und merkte, daß da etwas Schlimmes vorgegangen war, wollte schon zu sich nach Hause zurücklaufen, blieb aber doch noch am Tore stehen und schickte die Krankenwärterin zu dem Herrn im Seitengebäude, um zu fragen, ob etwa Marja Ignatjewna bei ihm sei oder er etwas von ihr wisse. Die Abgesandte kehrte zurück und erhob ein entsetztes Geschrei, das in der ganzen Straße zu hören war. Arina Prochorowna redete auf sie ein, sie solle nicht schreien und niemandem etwas sagen, mit der merkwürdigen Begründung, sie werde sonst streng bestraft werden; sie selbst schlich von dem Hause fort.
    Selbstverständlich wurde sie, als die frühere Hebamme der Wöchnerin, noch an demselben Vormittage von der Polizei vernommen; aber das Resultat war nur gering: sie erzählte sehr verständig und kaltblütig alles, was sie selbst bei Schatow gesehen und gehört hatte; aber von dem stattgefundenen tragischen Ereignisse erklärte sie nichts zu wissen und nichts zu verstehen.
    Man kann sich vorstellen, welche Aufregung sich der ganzen Stadt bemächtigte. Ein neues sensationelles Faktum, wieder ein Mord! Aber hier kam noch etwas anderes hinzu: es stellte sich klar heraus, daß es wirklich eine geheime Gesellschaft von Mördern und Brandstiftern, Revolutionären und
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