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Der Unbesiegbare

Der Unbesiegbare

Titel: Der Unbesiegbare
Autoren: Stanislaw Lem
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schützenden Barriere umringt hatten, war nun wie bloßgelegt und besonders reizempfindlich. Dann und wann vernahm er nur, jetzt viel schwächer als zuvor, das rhythmische Singen der Sonde. Dafür erregte jeder Windstoß, der um die Felszacken fauchte, seine Aufmerksamkeit, da er darin das wohlbekannte feine Summen zu hören glaubte, an das er sich so gut erinnerte. Allmählich hatte er sich an den Marschschritt gewöhnt und konnte nun, mechanisch von Stein zu Stein stapfend, ungehindert nachdenken. Er trug einen Schrittzähler in der Tasche. Er wollte nicht zu früh nach dem Zeiger sehen und entschloß sich, das erst nach einer Stunde zu tun. Doch er hielt es nicht aus und zog das uhrähnliche, kleine Gerät hervor, bevor die Stunde vorüber war. Aber er war schmerzlich enttäuscht. Keine drei Kilometer hatte er zurückgelegt. Große Höhenunterschiede hatte er überwinden müssen, das hatte ihn aufgehalten. Also nicht drei, auch nicht vier Stunden, sondern wenigstens noch sechs, dachte Rohan. Er zog die Karte hervor und richtete sie kniend von neuem ein. 700 bis 800 Meter weiter östlich war der Kamm der Schlucht zu sehen. Die ganze Zeit war erungefähr parallel dazu marschiert. An einer Stelle wurde das schwarze Gesträuch an den Hängen von einer fadendünnen, gewundenen Lücke geteilt; wahrscheinlich war das ein ausgetrocknetes Bachbett. Er bemühte sich, es genauer zu erkennen. Auf den Knien, in dem Wind, der ihm um die Ohren pfiff, durchlebte er Augenblicke der Unentschlossenheit. Als wüßte er selbst nicht genau, was er tat, erhob er sich, steckte mechanisch die Karte ein, bog rechtwinklig von seiner bisherigen Richtung ab und strebte der Steilwand der Schlucht zu.
    Er näherte sich den stummen, zerklüfteten Felsen, als könnte sich jeden Augenblick der Boden unter ihm auftun. Entsetzliche Angst krampfte ihm das Herz zusammen. Doch er ging weiter, noch immer mit den Händen ausholend, die ihm furchtbar leer schienen. Mit einem Ruck blieb er stehen und schaute ins Tal, auf die Wüste hinunter, wo der »Unbesiegbare« war. Er konnte das Raumschiff nicht sehen, es war hinter dem Horizont. Das wußte er, doch er blickte in diesen rötlichen Himmel, der sich langsam mit bauschigen Wolken füllte. Das Singen der Sondensignale wurde so schwach, daß er nicht sicher war, ob er es sich vielleicht nur noch einbildete. Warum schwieg der »Unbesiegbare«?
    Weil er dir nichts mehr zu sagen hat, antwortete er sich selbst. Die oberen, an groteske, verwitterte Statuen erinnernden Felsbrocken waren in Reichweite. Die Schlucht tat sich vor ihm auf wie ein riesiger Graben voller Finsternis. Die Sonnenstrahlen reichten noch nicht bis zur Mitte der schwarzbedeckten Wände hinab. Hier und da ragten aus dem borstigen Dickicht kalksteinähnliche, weiße Felsnadeln auf. Mit einem Blick umfaßte er den ganzen, riesigen Raum bis zu dem steinigen Grund der Schlucht, der anderthalb Kilometer tief unter ihm lag.
    Da fühlte er sich so sehr allen Mächten ausgeliefert, sowehrlos, daß er sich unwillkürlich niederhockte und an die Steine schmiegte, als wollte er selbst ein Felsbrocken werden. Das war sinnlos, denn er war nicht in Gefahr, entdeckt zu werden. Was er fürchten mußte, das hatte keine Augen. Er streckte sich auf einer schwach erwärmten Felsplatte aus und sah in die Tiefe. Die Aussagen der photogrammetrischen Karte waren völlig unbrauchbar, denn sie zeigte das Gelände aus der Vogelperspektive und daher vertikal erschreckend verkürzt. Er konnte nicht daran denken, über die enge, kahle Rinne zwischen den beiden mit schwarzen Sträuchern bewachsenen Flächen den Abstieg zu wagen. Nicht 25, sondern wenigstens 100 Meter Seil hätte er dafür haben müssen; außerdem hätte er ein paar Haken und einen Hammer gebraucht, aber er hatte nichts dergleichen. Er war nicht für Kletterpartien ausgerüstet.
    Die schmale Furche führte zunächst ziemlich sanft abwärts, brach dann plötzlich ab, verschwand hinter einem überhängenden Buckel in der Felswand und war erst tief drunten durch einen bläulichen Dunstschleier wieder zu sehen. Ein verrückter Gedanke ging ihm durch den Sinn: Einen Fallschirm müßte ich haben …
    Sorgsam prüfte er die Hänge zu beiden Seiten der Stelle, an der er ausgestreckt unter einem großen, pilzförmigen Gesteinsbrocken lag. Jetzt erst spürte er, daß aus der großen Leere, die sich unter ihm auftat, ein milder, warmer Lufthauch heraufzog. Und wirklich, die Umrisse der Hänge gegenüber zitterten
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