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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger
Autoren: James McGee
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Geste stummen Flehens erhoben war. Mit einem letzten gurgelnden Seufzer richtete sich Lee noch einmal auf, dann wurden seine Glieder schlaff und er ging unter.
    Da knarrte und bebte die Narwal noch einmal. Sie bohrte sich tiefer in den Schlamm. Erst jetzt merkte Hawkwood, dass er bereits bis zur Brust im Wasser stand. Bald würde es über seine Schultern schwappen, bis unters Kinn hochsteigen. Und
danach …
    Die Erkenntnis, dass er hier unten, in der Finsternis, sterben würde, traf ihn wie ein Schlag. Die Thetis war zerstört. Er würde sterben, ohne seinen Auftrag erfüllt zu haben – ein schändlicher Tod für einen Runner. In der Hitze des Gefechts hatte Hawkwood dem Tod oft ins Auge gesehen – ohne Selbstmitleid und Groll. Einem Feind mit Gewehr und Degen in dem Bewusstsein entgegenzutreten, sterben zu müssen, war tapfer und ehrenvoll. Aber in einem Unterseeboot jämmerlich zu ertrinken …
    Als das Wasser um sein Kinn schwappte, watete er blindlings nach vorn zum Kommandoturm. Seine linke Schulter und sein linker Arm waren völlig taub. Er wusste nicht, wie schwer er verletzt war. Aber das spielte keine Rolle, denn er würde nicht an dieser Messerwunde sterben, sondern ertrinken. Er fragte sich, ob es ein schmerzvoller Tod sein würde, denn er hatte gehört, Ertrinken sei eine friedliche Art zu sterben. Doch es wäre ihm lieber gewesen, diese Erfahrung nicht machen zu müssen.
    Jetzt musste er den Kopf recken, damit ihm das Wasser nicht in die Nase drang. Jede Bewegung wurde zur Qual, und das Atmen fiel ihm schwer. Im Boot war kaum noch Luft.
    Er musste an Jago denken. Hatte sich Nathaniel auf die Suche nach ihm gemacht? Oder hatte er den Obersten Richter benachrichtigen können? Sein letzter Gedanke, ehe das eiskalte Wasser über ihm zusammenschlug, war, dass er sich nicht mehr von seinem Freund hatte verabschieden können.
     
    Jago und der Corporal ruderten durch Holztrümmer und vorbei an teilweise verkohlten Leichen, die mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieben, sowie an brennenden geteerten Planken, die wie geschmolzene Lava glühten.
    Rettungsboote suchten nach Überlebenden im Wasser. Ein Bumboot legte am Rumpf des zerstörten Kriegsschiffs an, und im Gefolge eines Offiziers kletterte ein halbes Dutzend Feuerwehrmänner die Leiter zu dem qualmenden Deck hinauf.
    Von Steuerbord kamen Hilferufe. Ein Matrose mit blutverschmiertem, rußschwarzem Gesicht reckte flehend seinen Arm aus dem Wasser.
    Der Corporal, aschfahl im Gesicht, sah Jago an. Der schüttelte den Kopf. »Rudere weiter, Corporal. Ein anderes Boot wird ihn aufnehmen. Nach diesem Mann suchen wir nicht.«
    Ohne auf den fragenden Blick des Corporals weiter einzugehen, suchte Jago weiter nach der Stelle im Fluss, wo er glaubte, etwas Ungewöhnliches gesehen zu haben. Er wusste zwar nicht, wonach er suchte, würde es aber erkennen, sobald er es sah.
    Wie dieses Stück Treibholz, zum Beispiel, dachte er. Es könnte von der Thetis stammen. Er fischte es aus dem Wasser und musterte das gebogene Brett. Es sah wie die Daube eines Fasses aus. Die Enden waren zersplittert. Jago biss sich auf die Unterlippe und starrte über das Dollbord hinweg. Der auffrischende Wind kräuselte die Wellen. Jago warf die Daube über Bord. Vielleicht hatte er sich getäuscht und doch nur eine hochschwappende Welle gesehen. Sein Blick schweifte zum Ufer. Dort trieben schwer verletzte Männer im Wasser, die Hilfe brauchten.
    Jago ließ die Schultern sinken. »Tja, mein Junge«, sagte er niedergeschlagen. »Hier ist nichts. Wir rudern zurück.«
    Aber der Corporal reagierte nicht, sondern deutete aufs Wasser. »Warten Sie! Dort drüben, schauen Sie!«
    Jago folgte dem Blick des Marinesoldaten, konnte aber nichts entdecken. Er schüttelte den Kopf. »Da ist nichts, mein Junge.«
    »Doch«, widersprach der Corporal heftig. »Da, sehen Sie?«
    Jago starrte wieder ins Wasser.
    Ein Schatten. Der Schatten ihres Ruderboots und ihrer Gestalten.
    Aber der Schatten bewegte sich merkwürdig. Als ob …
    Da schnellte etwas durch die Wasseroberfläche. In der Mitte des Strudels reckte sich eine Hand himmelwärts, dann folgten Kopf und Schultern. Ein Mann schnappte keuchend nach Luft. Der Corporal fiel vor Schreck vom Rudersitz.
    Jago reagierte sofort: »Los! Steh auf, Junge! Du musst mir helfen!«
    Vor Entsetzen wie benommen, hievte sich der Corporal hoch. Doch schon beugte sich Jago über das Dollbord. Er packte den Mann bei den Schultern und zog ihn ins Boot.
    Ein Wunder!
    Der
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