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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten
Autoren: Katherine Pancol
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blonde Frau kam auf sie zu. Sie trug einen Hut, Handschuhe und ein sehr elegantes Kostüm.
    »Kennst du sie?«, fragte Philippe, ohne die Lippen zu bewegen.
    »Nein. Wieso?«
    »Weil ich den Eindruck habe, dass sie uns ansprechen will …«
    Sie richteten sich auf, und kurz darauf stand die Frau vor ihnen. Sie wirkte sehr würdevoll. Ihr blasses Gesicht verriet schlaflose Nächte, ihre Mundwinkel hingen wie traurige Kommas herunter.
    »Madame Cortès? Monsieur Dupin? Ich bin Madame Mangeain-Dupuy, Isabelles Mutter …«
    Philippe und Joséphine erhoben sich. Sie bedeutete ihnen mit einer Geste, dass das nicht nötig sei.
    »Ich habe die Todesanzeige in Le Monde gelesen, und ich wollte Ihnen sagen … Aber ich weiß nicht, wie … Es ist ein wenig heikel … Ich wollte Ihnen sagen, dass der Tod Ihrer Schwester, Madame, der Ihrer Frau, Monsieur, nicht vergebens war. Sie hat eine Familie befreit … Darf ich mich setzen? Ich bin nicht mehr die Jüngste, und diese Ereignisse haben mich erschöpft …«
    Philippe und Joséphine traten zur Seite. Madame Mangeain-Dupuy setzte sich auf die Bank, und sie nahmen neben ihr Platz. Sie legte die behandschuhten Hände auf ihre Handtasche. Hob das Kinn, richtete den Blick starr auf das Rasenrechteck vor ihr und setzte zu einer langen Beichte an. Joséphine und Philippe hörten zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen, so unfassbar groß erschien ihnen die Mühe, die es diese Frau kostete, mit ihnen zu reden.
    »Meine Anwesenheit hier muss Ihnen bizarr erscheinen, mein Mann wollte nicht, dass ich komme, er findet mein Erscheinen hier unangebracht, aber ich halte es für meine Pflicht als Mutter und Großmutter, Sie aufzusuchen …«
    Sie öffnete ihre Handtasche und holte ein Foto heraus. Das Foto, das Joséphine schon an der Schlafzimmerwand der Lefloc-Pignels gesehen hatte: das Hochzeitsfoto von Hervé Lefloc-Pignel und Isabelle Mangeain-Dupuy.
    »Meine Tochter Isabelle hat Hervé Lefloc-Pignel auf dem Ball der École Polytechnique in der Pariser Oper kennengelernt. Sie war damals achtzehn Jahre alt, er vierundzwanzig. Sie war hübsch, unschuldig, hatte gerade ihr Abitur gemacht und fand sich weder attraktiv noch besonders klug. Sie hatte fürchterliche Minderwertigkeitskomplexe gegenüber ihren beiden älteren Schwestern, die ein exzellentes Studium absolviert hatten. Sie hat sich Hals über Kopf in ihn verliebt und wollte ihn schon sehr bald heiraten. Als sie uns davon erzählte, haben wir sie gewarnt. Ich will offen zu Ihnen sein, wir sahen diese Verbindung nicht gern. Nicht so sehr wegen Hervés Herkunft, glauben Sie mir, sondern vielmehr, weil er uns so reizbar, schwierig und ungemein empfindlich zu sein schien. Aber Isabelle wollte nicht auf uns hören, und so mussten wir dieser Ehe wohl oder übel zustimmen. Am Vorabend der Hochzeit hat ihr Vater sie ein letztes Mal angefleht, es sich anders zu überlegen. Da hat sie ihn angeschrien, er möge vielleicht Angst vor der unstandesgemäßen Heirat haben, aber sie kümmere es einen feuchten Dreck, ob er aus einem Kuhfladen oder einer Silberschüssel stamme! Das waren ihre Worte … Danach haben wir nicht länger versucht, sie umzustimmen. Wir haben gelernt, unsere Gefühle zu verbergen, und haben ihn als unseren Schwiegersohn in die Familie aufgenommen. Man muss zugeben, dass dieser Mann brillant war. Ein schwieriger Mensch, aber brillant. Nach einer Weile hat er die familieneigene Bank aus einer sehr schwierigen Lage gerettet, und von diesem Tag an haben wir ihn von Gleich zu Gleich behandelt. Mein Mann hat ihm den Vorsitz der Bank und sehr viel Geld angeboten. Danach wurde er lockerer, er wirkte glücklich, und unser Verhältnis entspannte sich. Isabelle strahlte vor Glück. Sie war damals mit ihrem ersten Kind schwanger. Die beiden wirkten sehr verliebt. Es war eine gesegnete Zeit. Wir bedauerten sogar, dass wir so … so konservativ und ihm gegenüber so misstrauisch gewesen waren. Wenn wir allein waren, redeten mein Mann und ich häufig über diese Kehrtwende. Und dann …«
    Aufgewühlt verstummte sie, und als sie weitersprach, zitterte ihre Stimme.
    »… dann wurde der kleine Romain geboren. Er war ein wunderschönes Baby. Er sah seinem Vater unglaublich ähnlich, und Hervé war verrückt nach ihm. Aber … dann geschah das Unglück, von dem Sie sicher gehört haben … Isabelle hatte Romains Babysitz in einer Tiefgarage auf die Fahrbahn gestellt, während sie ein paar Einkäufe einräumte … Es war eine furchtbare
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