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Der Frauenmörder

Der Frauenmörder

Titel: Der Frauenmörder
Autoren: Hugo Bettauer
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Clusius gespannt.
    Krause ließ nochmals den Blick über die vier vor ihm liegenden Meldescheine und den Brief des Fräuleins Pfeiffer gleiten, steile, aufrechte, naive, gotische oder lateinische, schlecht gekritzelte, undeutliche Buchstaben tanzten vor seinen Augen. Die Fältchen im Gesicht verdichteten, glätteten und verdichteten sich wieder, dann ging er, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab und hielt so eine Art Vortrag.
    "Wohl der schwierigste Fall, den Sie mir bisher übergeben haben, Herr Doktor. Vier Mädchen verschwinden, von denen jede einen der banalsten und häufigsten Namen hat, den man sonst nur erfinden könnte. Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer! Dergleichen laufen im Deutschen Reiche zu Zehntausenden umher. Keine hat eine frühere Adresse angegeben, keine von Freunden oder Verwandten erzählt. Ferner: Alle vier scheinen sogenannte bessere, halb oder ganz gebildete Personen, aber keineswegs mit Glücksgütern gesegnet gewesen zu sein. Direkt arm waren sie aber auch nicht, trotz der Armseligkeit ihrer Hinterlassenschaft. Dafür, daß sie nicht ganz arm waren, spricht die Tatsache, daß sie alle vorausbezahlt haben und, wie jede der vier Vermieterinnen erzählt, entweder Ohrringe oder hübsche Fingerringe, die eine eine goldene Uhr mit Kette, eine sogar eine Brillantbrosche besaßen."
    "Zu welcher Schlußfolgerung kommen Sie daraus?"
    "Oberflächlich betrachtet, könnte man aus diesen gewissen Gleichartigkeiten auf sonderbare Zufälligkeiten schließen. In Wirklichkeit könnten aber die Gleichartigkeiten, die primitiven Namen, der Mangel an Anhang in Berlin, nicht völlige Mittellosigkeit und bessere Art, die Umstände gewesen sein, die sie eben zu Opfern eines Mordbuben machten."
    "Versteh' ich nicht ganz!"
    "Ist doch sehr einfach, Herr Doktor! Der saubere Bräutigam hat sich eben prinzipiell nur mit Mädchen, die hier keine Familie haben, gewöhnliche Namen tragen und etwas Geld sowie Schmuck besitzen, verlobt, weil er bei diesen Mädchen einerseits auf genügende Beute rechnen durfte, andererseits sich vor Entdeckung sicherer fühlte, als wenn er mit Mädchen aus Berliner Häusern angeknüpft hätte."
    "Und was nun, Herr Krause?"
    "Die nächsten Schritte, Herr Doktor, werden Ihre Beamten machen müssen. Aufrufe in den Berliner, Hamburger und bayerischen Zeitungen nach Personen, die über die Vermißten etwas sagen können, Ausschreibungen von hohen Belohnungen, Nachforschungen in Ketzin und Umgebung und in den transatlantischen Passagierlisten nach Fräulein Jensen, die im Frühling aus New York zurückgekehrt sein will. In der Zeit, die darüber vergehen wird, werde ich einiges zu besorgen haben. Jedenfalls bitte ich Sie, heute noch die Reporter aller Zeitungen bei sich zu versammeln, damit die ganze Öffentlichkeit interessiert wird. Wer weiß — vielleicht werden noch andere Abgängigkeitsanzeigen erstattet oder es kommen wichtige Spuren zutage. Natürlich sofort Steckbrief erlassen nach dem blonden Schuller, Schullern oder Schindler mit dem Kneifer."
    Dr. Clusius sprang nervös auf. "Krause, die Geschichte wird ungeheuer viel Staub aufwirbeln, und wehe uns, wenn wir nichts herausbekommen. Ich muß mich wieder einmal ganz auf Sie verlassen."

Selma Cohen als Fünfte
    D er Chef der Kriminalpolizei hatte mit seiner Vermutung nur zu recht gehabt. Das Aufsehen, das die Mitteilungen der Polizei über das spurlose Verschwinden von vier Mädchen machten, war enorm. Die Tatsache, daß man von den Mädchen selbst nicht das geringste wußte, das Geheimnis, das den blonden Mann mit dem Kneifer umhüllte, die Möglichkeit, daß sich noch andere Frauen unter seinen Opfern befänden, das alles wirkte aufregend, entzündete die Phantasie, war Lesestoff, den die Berliner mit Gier verschlangen. Und die Zeitungen taten das ihrige, um den Fall auszuschlachten, überboten einander in schreienden Überschriften, machten, je nachdem, aus dem blonden Mann einen Blaubart, einen Aufschlitzer, einen perversen Wüstling. Aber sie unterstützten auch die Polizei nach besten Kräften, indem sie ihre Korrespondenten in Hamburg und München alarmierten und Berichterstatter nach Ketzin schickten, um dort Nachforschungen anzustellen. Über Nacht wurde aus dem freundlichen, aber verschlafenen Städtchen eine Weltberühmtheit, die Berichterstatter schilderten das Rathaus, den Marktplatz, die Kirchen, die Gasthöfe mit allen Details, nur von dem blonden Mann und seinen Bräuten konnten sie nichts melden. Wohl war im Laufe
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