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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren
Autoren: Wolf Haas
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„runterfährt". Immer wieder dieselben Stationen. Da leidet man ja würklich mit dem Kind mit! In der extremen Hitze! Aber bei der Luftmatratze wird's vielleicht eine Spur too much.
    Wolf Haas Darum geht's doch! Ihm war es auch zu viel.
    Literaturbeilage Aber man kriegt da beim Lesen das Gefühl, jetzt mischt sich der Autor ein und versucht, mir durch besonders kunstvolle Metaphorik zu vermitteln, wie eng und quälend es für den Jungen auf dem Rücksitz war. In den ersten Jahren war der doch noch ganz klein, die Wahrnehmung scheint ürgendwie zu raffiniert für einen kleinen Jungen.
    Wolf Haas Ja sehen Sie, und genau das ist so ziemlich die einzige Stelle, die ich wortwörtlich von seinen Erzählungen übernommen habe. Es hat mir einfach so gut gefallen, wie erbittert er nach all den Jahren noch die Gepäckstücke aufgezählt hat, mit denen er seinen Platz in den verschiedenen Autos seines Vaters teilen musste. Also ganz am Anfang war das ja sogar noch ein alter VW Käfer, und dann ging's herauf, den üblichen Weg eben, Opel Kadett, VW Golf und so weiter.
    Literaturbeilage Die Automarken haben Sie aber gar nicht erwähnt.
    Wolf Haas Da hab ich lang herumgeschissen. Es gab natürlich Rohversionen, wo ich das alles drinnen hatte. Dann hab ich das aber alles rausgestrichen. Ich wollte verhindern, dass es so ein modisches Marken-Archäologiebuch wird. Mir ist das unsympathisch, dieser Hang der jungen Leute, die schon als Dreißigjährige auf ihr bisschen „damals" zurückblicken, und „Weißt du noch, welche Mode damals war", das ist doch lächerlich. Jedenfalls - wo war ich?
    Literaturbeilage Luftmatratze.
    Wolf Haas Ja, die Luftmatratzenstelle. Er hat mir eben erzählt, dass da seine zusammengepresste Luftmatratze ihren Stammplatz im Auto hatte, neben seinen Beinen, hinter die Rücklehne des Beifahrersitzes gestopft. Ich hab mich noch gewundert, warum er dabei das Gesicht so verzieht, als würde er gleich zu weinen anfangen. Aber das war eben der vorauseilende Gesichtsausdruck sozusagen, der sich erst erklärte, als er dann den bestialischen Gummigeruch der Luftmatratze beklagt hat. Damals hatten die noch keine Klimaanlage im Auto. Jetzt sag ich auch „damals", sehen Sie, das wollte ich eben nicht im Buch haben, diese Retro-Sentimentalität, dieses ewige „damals".
    Literaturbeilage Keine Klimaanlage ist noch nicht unbedingt Retro-Kitsch.
    Wolf Haas Klimaanlagen sind überhaupt so ein Thema für mich. Ich hab ja als Werbetexter für Mazda viel über Klimaanlagen geschrieben. Das ist mein Thema sozusagen. „Klimaanlage inklusive" war der große Hit damals.
    Literaturbeilage „Damals"!
    Wolf Haas Ja furchtbar! Jetzt fang ich auch schon so an. Jedenfalls war die Hitze im Auto schuld, dass die Luftmatratze fast geschmolzen ist -
    Literaturbeilage Ich kann mir gut vorstellen, dass der Junge unter dem Gummigeruch litt. Aber „bestialischer Gummigestank"?
    Wolf Haas Das waren seine Worte! Bestialischer Gummigestank! Und dieser zurückhaltende Herr Kowalski, das ist wahrlich niemand, der zu großen Worten greift, der sagt nicht „bestialisch", wenn er nur meint „ein bisschen unangenehm". Er muss wirklich gelitten haben unter dem Gestank. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Gummizeug in so einer kochenden Autozelle wirklich Dämpfe abgibt, die nicht ganz ungiftig sind.
    Literaturbeilage Die Luftmatratze als solche ist natürlich auch so ein Gerät, das eine ganze Welt abruft.
    Wolf Haas Ja eben. Das ist ein gefährliches Ding. Ich musste da dauernd streichen und mich einbremsen. Ich hab mich selber gewundert, wie aufdringlich die Dinger eigentlich sind. Allein dieser irre Gegensatz, was eine aufgepumpte Luftmatratze am See bedeutet, so herrlich, das Paddeln, die Sonne, das Wasser, die gute Luft, und was daraus wird, wenn sie einem im heißen, stinkenden Auto den Atem raubt.
    Literaturbeilage Passagenweise würkt das ja fast wie so eine Sniffdroge.
    Wolf Haas Ganz genau! Und dann sagt er auch noch, er hat sich als Kind immer vorgestellt, im Auto verwendet die Luftmatratze die ihr rechtmäßig zur Aufplusterung zustehende Luft, um diesen Geruch zu erzeugen. Also er hat das noch viel besser gesagt. Es hat in seiner Version wirklich so geklungen, als wäre die Luftmatratze ein krankes Lebewesen, ein verendender Organismus, der sich nicht ausdehnen darf. Die Luftmatratze braucht die ganze Luft zum Überleben ihres Krisenzustandes da hinter dem Beifahrersitz.
    Literaturbeilage Hinter dem Beifahrersitz. Das betonen
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