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Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Titel: Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Autoren: Jan Caeyers
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Trauermarsch aus der Klaviersonate As-Dur op. 26 in einer Fassung für Bläser. Die Musik, die in Beethoven’scher Art dumpf, dunkel und schauerlich klingt, geht den aufgewühlten Zuhörern unter die Haut.
    Um halb vier an diesem Nachmittag setzt sich unter einem hellblauen Frühlingshimmel der majestätische Trauerzug in Bewegung. Auf die Priesterschar folgt der reich geschmückte Sarg, getragen von acht Sängern der Hofoper. Acht Kapellmeister halten weiße Atlasbänder, die über den Sarg gelegt sind. Die Bahre ist von etwa vierzig Freunden und Künstlerkollegen umringt – Dichtern, Schauspielern, Komponisten und anderen Musikern –, unter ihnen Schubert, Czerny, Schuppanzigh und Grillparzer. Sie sind in feierliches Schwarz gekleidet, tragen schwarze Handschuhe, halten in der linken Hand eine weiße Lilie und in der Rechten eine mit Blumen verzierte Fackel. Ihnen folgt eine Abordnung von Schülern des Konservatoriums – die Schulen sind zum Zeichen der Trauer heute geschlossen; eine beeindruckende Menge angesehener Persönlichkeiten beschließt den Zug.
    Die Karawane kann sich nur mit größter Mühe einen Weg durch die wogende Masse bahnen, für die fünfhundert Meter bis zur Dreifaltigkeitskirche der Minoriten in der Alsergasse braucht sie anderthalb Stunden. Nach der Einsegnung wird Beethovens Leichnam auf einem von vier Pferden gezogenen, prachtvoll geschmückten Leichenwagen zum Währinger Ortsfriedhof gefahren, etwa zweihundert Kutschen bilden die eindrucksvolle Eskorte. Am Tor des Friedhofs trägt der Schauspieler Heinrich Anschütz feierlich und ergriffen die von Grillparzer geschriebene Grabrede vor. Bildreich, elegant und mit wohldosiertem Bombast und Pathos rühmt Grillparzer den Verstorbenen im Namen der Nation und aller deutschsprachigen Völker. Beethoven, der «von nun an unter den Großen aller Zeiten» stehe, «unantastbar für immer», sei «der Erbe und Erweiterer von Händel und Bachs, von Haydn und Mozarts unsterblichem Ruhme». Wer nach ihm komme, prophezeit der Dichter, werde nicht fortsetzen können, sondern anfangen müssen, weil sein Vorgänger nur aufhörte, «wo die Kunst aufhört». Er schließt mit Worten des Trostes für die Anwesenden: «Erinnert euch dieser Stunde und denkt: wir waren dabei, als sie ihn begruben, und als er starb, haben wir geweint!»[ 1 ]
    Die Menge lauscht atemlos, viele weinen. Der nun mit drei Lorbeerkränzen bedeckte Sarg wird hinabgelassen, anschließend werden Hunderte für diesen Anlass gedruckte Blätter mit Erinnerungsgedichten von Castelli und Schlechta verteilt. Als die letzten Trauernden den Friedhof verlassen, geht die Sonne unter.
    *
    Löwen, Donnerstag, 29. März 2007. Voller Verwunderung stelle ich mir das Schauspiel vor, das auf den Tag genau vor hundertachtzig Jahren in der Gegend des Wiener Schottentors aufgeführt wurde. Die Zahl von zwanzigtausend Beteiligten mag etwas zu hoch gegriffen sein, doch Massenandrang herrschte zweifellos, und auch die prunkvolle Inszenierung machte dieses Ereignis zu etwas ganz Außergewöhnlichem. «A scheene Leich’» nennt man ein solches Begräbnis in Wien. Heute würde man es mit Sicherheit live im Fernsehen übertragen; zur großen Freude der Wiener, die ein Faible für den Tod und das Theater haben.
    Dass an jenem Nachmittag viel geheuchelt wurde, zeigt nur, wie wichtig Beethoven den Wienern war. Denn auch das ist etwas Wienerisches. Der Ansturm der Menschen und Gefühle stand ja in keinem Verhältnis zur Marginalität Beethovens am Ende seiner Karriere. Im Wiener Kulturleben dominierte damals schon seit fast anderthalb Jahrzehnten der Geschmack der Durchschnittsbürger, der «Biedermeiers», wohlig eingesponnen in den Kokon leichter, gewohnter, gewiss nicht beunruhigender Kunst. Was sie wollten, war die brillant-charmante, blitzende Musik der Stars von morgen: Joseph Lanner und vor allem Johann Strauss Vater. Musik, die den Sinnen schmeichelte, aber den Geist nicht forderte.
    Beethoven war das Gegenteil von Biedermeier, und er gehörte längst nicht mehr in seine Zeit. Die Musik seiner späten Jahre war keineswegs liebenswürdig oder elegant. Es war eigenwillige, sperrige Musik, die viel Anstrengung forderte, nicht nur vom Komponisten und vom Ausführenden, sondern auch vom Hörer. Etwas völlig anderes als die eingängigen Stücke also, die er gut ein Jahrzehnt zuvor für die Teilnehmer des Wiener Kongresses geschrieben hatte und denen er den Großteil seines Wohlstands und Ruhms verdankte.
    Man
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