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Andorra

Andorra

Titel: Andorra
Autoren: Max Frisch
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für eine Lehre!
    Jetzt hört man lauten und hellen Klang, Glockengeläute, im Hintergrund zieht die Prozession vorbei, Barblin kniet nieder, der Lehrer bleibt sitzen. Leute sind auf den Platz gekommen, sie knien alle nieder, und man sieht über die Knienden hinweg: Fahnen, die Muttergottes wird vorbeigetragen, begleitet von aufgepflanzten Bajonetten. Alle bekreuzigen sich, der Lehrer erhebt sich und geht in die Pinte. Die Prozession ist langsam und lang und schön; der helle Gesang verliert sich in die Ferne, das Glockengeläute bleibt. Andri tritt aus der Pinte, während die Leute sich der Prozession anschließen, und hält sich abseits; er flüstert: ANDRI Barblin!
    – 8 –
    Max Frisch - Andorra
    Barblin bekreuzigt sich.
    Hörst du mich nicht?
    Barblin erhebt sich.
    Barblin?!
    BARBLIN Was ist?
    ANDRI - ich werde Tischler!
    Barblin folgt als letzte der Prozession, Andri allein.
    Die Sonne scheint grün in den Bäumen heut. Heut läuten die Glocken auch für mich.
    Er zieht seine Schürze ab.
    Später werde ich immer denken, dass ich jetzt gejauchzt habe. Dabei zieh ich bloß meine Schürze ab, ich staune, wie still. Man möchte seinen Namen in die Luft werfen wie eine Mütze, und dabei steh ich nur da und rolle meine Schürze. So ist Glück. Nie werde ich vergessen, wie ich jetzt hier stehe...
    Krawall in der Pinte.
    Barblin, wir heiraten!
    Andri geht.
    WIRT Hinaus! Er ist sternhagelvoll, dann schwatzt er immer so. Hinaus! sag ich.
    Heraus stolpert der Soldat mit der Trommel.
    Ich geb dir keinen Tropfen mehr.
    SOLDAT - ich bin Soldat.
    WIRT Das sehen wir.
    SOLDAT - und heiße Peider.
    WIRT Das wissen wir.
    SOLDAT Also.
    WIRT Hör auf, Kerl, mit diesem Radau!
    SOLDAT Wo ist sie?
    WIRT Das hat doch keinen Zweck, Peider. Wenn ein Mädchen nicht will, dann will es nicht. Steck deine Schlegel ein! Du bist blau. Denk an das Ansehen der Armee!
    Der Wirt geht in die Pinte.
    SOLDAT Hosenscheißer! Sie sind's nicht wert, dass ich kämpfe für sie. Nein. Aber ich kämpfe. Das steht fest.
    Bis zum letzten Mann, das steht fest, lieber tot als Untertan, und drum sage ich: Also - ich bin Soldat und hab ein Aug auf sie...
    Auftritt Andri, der seine Jacke anzieht.
    SOLDAT Wo ist sie?
    ANDRI Wer?
    SOLDAT Deine Schwester.
    ANDRI Ich habe keine Schwester.
    SOLDAT Wo ist die Barblin?
    ANDRI Warum?
    SOLDAT Ich hab Urlaub und ein Aug auf sie...
    Andri hat seine Jac ke angezogen und will weiterge hen, der Soldat stellt ihm das Bein, so da ss Andri stürzt, und lacht.
    Ein Soldat ist keine Vogelscheuche. Verstanden? Einfach vorbeilaufen. Ich bin Soldat, das steht fest, und du bist Jud.
    – 9 –
    Max Frisch - Andorra
    Andri erhebt sich wortlos.
    Oder bist du vielleicht kein Jud?
    Andri schweigt.
    Aber du hast Glück, ein sozusagen verfluchtes Glück, nicht jeder Jud hat Glück so wie du, nämlich du kannst dich beliebt machen.
    Andri wischt seine Hosen ab.
    Ich sage: beliebt machen!
    ANDRI Bei wem?
    SOLDAT Bei der Armee.
    ANDRI Du stinkst ja nach Trester.
    SOLDAT Was sagst du?
    ANDRI Nichts.
    SOLDAT Ich stinke?
    ANDRI Auf sieben Schritt und gegen den Wind.
    SOLDAT Pass auf, was du sagst.
    Der Soldat versucht den eignen Atem zu riechen.
    Ich riech nichts.
    Andri lacht.
    's ist nicht zum Lachen, wenn einer Jud ist, 's ist nicht zum Lachen, du, nämlich ein Jud muss sich beliebt machen.
    ANDRI Warum?
    SOLDAT grölt:
    »Wenn einer seine Liebe hat
    und einer ist Soldat, Soldat,
    das heißt Soldatenleben,
    und auf den Bock
    und ab den Rock -«
    Gaff nicht so wie ein Herr!
    »Wenn einer seine Liebe hat
    und einer ist Soldat, Soldat.«
    ANDRI Kann ich jetzt gehen?
    SOLDAT Mein Herr!
    ANDRI Ich bin kein Herr.
    SOLDAT Dann halt Küchenjunge.
    ANDRI Gewesen.
    SOLDAT So einer wird ja nicht einmal Soldat.
    ANDRI Weißt du, was das ist?
    SOLDAT Geld?
    ANDRI Mein Lohn. Ich werde Tischler jetzt.
    SOLDAT Pfui Teufel!
    ANDRI Wieso?
    – 10 –
    Max Frisch - Andorra
    SOLDAT Ich sage: Pfui Teufel!
    Der Soldat schlägt ihm das Geld aus der Hand und lacht.
    Da!
    Andri starrt den Soldaten an.
    So'n Jud denkt alle weil nur ans Geld.
    Andri beherrscht sich mit Mühe, dann bückt er sich und sammelt die Münzen auf dem Pflaster.
    Also du willst dich nicht beliebt machen?
    ANDRI Nein.
    SOLDAT Das steht fest?
    ANDRI Ja.
    SOLDAT Und für deinesgleichen sollen wir kämpfen? Bis zum letzten Mann, weißt du, was das heißt, ein Bataillon gegen zwölf Bataillone, das ist ausgerechnet, lieber tot als Untertan, das steht fest, aber nicht für dich!
    ANDRI Was steht
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