Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
10 - Im Bann der Loge

10 - Im Bann der Loge

Titel: 10 - Im Bann der Loge
Autoren: Oliver Fröhlich
Vom Netzwerk:
noch genauso laut wie beim ersten Mal. Und das, obwohl er keinerlei Begabung für derlei Dinge wie eine Zukunftsschau besaß.
    Wie mochte da erst Ts’onot die Vision empfunden haben – Diego de Landas Vorgänger als Kazike und der stärkste Chilam, den sein Volk je hervorgebracht hatte? Sein Lomob, die Kraft seines Geistes, war unvergleichlich gewesen. Letztlich hatte sie ihm den Blick in die Zukunft erst ermöglicht – und ihn so das Leben gekostet. Sein Lomob und der visionsverstärkende Ring, den Ts’onot getragen hatte.
    Nachdenklich strich Diego de Landa über das Schmuckstück, das nun seinen Finger zierte. Die Götter, die in der geheimen Kammer jenseits des Blutsteins auf der Tempelpyramide, jenseits dieser Welt wohnten, hatten Ts’onot den Ring mitgegeben, ohne dass der es selbst bemerkt hatte.
    Sie wollten, dass er den Untergang allen Lebens sieht! Warum sonst hätten sie es tun sollen?
    Inzwischen war Diego de Landa sich gewiss, was die Götter damit bezweckten: Ts’onot sollte die Menschen der Zukunft vor der Unheil bringenden Maschine des Weißen Schreckensgottes warnen.
    Aber Ts’onot war tot! Also war diese schwere Bürde ihm zugefallen, Diego de Landa. Doch er hatte keine Ahnung, wie er ihr gerecht werden sollte!
    Er blickte die lange Treppe der Tempelpyramide hinauf. Auf der obersten Plattform stand Hunagupach, der neue Chilam, mit ausgebreiteten Armen und vollzog ein Ritual, um den Gott Kan-u-Uayeyab um Schutz für ihre Stadt anzuflehen.
    Immer wieder kam es zu Übergriffen der Tutul Xiu. Noch vor zwei Haabzyklen hatten sie gemeinsam gegen die Schergen des falschen Gottes gekämpft und sie zurückgeworfen. Leider erst, nachdem diese die Teile der Maschine an sich gebracht hatten, die den Untergang einst herbeiführen sollte. Alle Teile bis auf das Kernstück: den Himmelsstein. Aber die Vision der Weltenzerstörung bewies, dass der falsche Weiße Gott ihn eines fernen Tages doch in die Hände bekommen sollte.
    Der Friede zwischen den Völkern hielt nicht lange an. Als nach Ts’onots Tod Diego de Landa König der Maya von Ah Kin Pech wurde, erkannten die anderen Städte ihn – einen Weißen! – nicht als Kaziken an. Allen voran Moch Couoh von den Tutul Xiu wandte sich von ihm ab. Nach und nach folgten weitere Mayavölker.
    Bisher war es noch nicht wieder so schlimm geworden wie in den Zeiten vor der Schlacht gegen die Spanier. Vielmehr herrschte ein Klima gegenseitigen Misstrauens. Doch auch dieser Zustand schien nicht von Dauer zu sein. Denn Hunagupach hatte in einer Vision einen Überfall der Tutul Xiu für die übernächste Nacht des vollen Mondes vorhergesehen. Und nicht nur sie, sondern auch die Angehörigen anderer Städte würden über Ah Kin Pech herfallen.
    Der Chilam stand nur ein kurzes Stück vor dem Blutstein. Auf der Spitze der Pyramide glaubte er sich den Göttern nahe, ohne zu ahnen, dass sie sich tatsächlich nur eine Armlänge entfernt befanden. Und zugleich auch unendlich weit weg, in der Kammer jenseits der Welt, die ohne den Schlüssel in Ts’onots Grab niemand betreten konnte.
    Als Hunagupachs rituelle Gesänge verstummten und den Schutzgott hoffentlich gnädig gestimmt hatten, atmete Diego de Landa tief durch und schritt die Stufen hoch.
    Der Chilam begrüßte den ungewöhnlichen, weil spanischen Kaziken mit einem respektvollen Nicken. »Du wirkst betrübt.«
    »Du bist ein scharfer Beobachter, Hunagupach.« De Landa strich über den Ring und die Erinnerungen an die Schreckensvision wehten durch sein Bewusstsein. »Ich weiß nicht, wie ich den Willen der Götter erfüllen soll«, sagte er schließlich.
    Er sah Hunagupach in die Augen und erkannte darin etwas, das er zuletzt in Ts’onots Blick ausgemacht hatte. Dort schimmerte eine Glut, die eines Tages zu einem gewaltigen Feuer der Macht erwachsen würde. Kraft, Weisheit, das Wohlwollen der Götter. De Landa glaubte, dass der Chilam in nicht allzu ferner Zukunft ein ähnlich großes Lomob besitzen würde wie Ts’onot.
    Sein mit Harz eingeriebener Körper roch süßlich. Außer einem kunstvoll bestickten und mit Jade versehenen Lendenschurz trug er eine federverzierte Jacke und unzählige Ringe an den Fingern, um die Fußknöchel und in der Unterlippe.
    »Es ist die Vision, die Ts’onot mit dir geteilt hat, nicht wahr?«, sagte der Orakelpriester. »Die Bilder vom Ende der Welt.«
    »Ich weiß nicht, wie ich die Menschen vor dem warnen kann, was auf sie zukommt.«
    »Schreibst du nicht gerade dein Leben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher