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0924 - Der Herr der Nebelberge

0924 - Der Herr der Nebelberge

Titel: 0924 - Der Herr der Nebelberge
Autoren: Oliver Fröhlich
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starrte Stanef das Pfahlkreuz an. »Was ist das?«
    »Das Zeichen, dass man hier nicht weitergehen darf. Es stehen strenge Strafen darauf, es zu missachten. Was bringen dir deine Lehrer eigentlich bei?«
    »Warum sollte jemand ein Loch in die Hecke schneiden und dann verbieten durchzuschlüpfen. Das ist doch blöd!«
    Dem hatte Hendreg nichts entgegenzusetzen.
    »Warst du schon einmal hier?«, fragte der Kleine.
    »Nein. Deshalb gehen wir jetzt auch heim!« Hendreg versuchte, den großen, klugen Bruder herauszukehren. »Ein fremder Wald ist immer gefährlich. Man kann sich verlaufen oder in verborgenen Mulden die Knochen brechen. Außerdem dürfen wir ohnehin nicht hinter die Sperrpfähle.«
    »Na und, merkt doch keiner! Mal sehen, was dahinter liegt.«
    »Winzling, nein!« Da huschte Stanef schon an dem Kreuz vorbei und durch die Hecke.
    Das nächste Mal, wenn ich auf ihn aufpassen muss, binde ich ihn an einen Stuhl und geh trotzdem auf die Jagd!
    Hendreg umrundete die Beißholzstämme ebenfalls und folgte seinem Bruder in den Wald. »Bleib stehen! Langsam werde ich wirklich wütend!«
    Stanef dachte gar nicht daran. Lachend hüpfte er durch den Wald, als wäre er nicht bei Sinnen.
    Was ist nur los mit ihm? , dachte Hendreg. Vor unserer Wanderung hat er bei dem Gedanken an Monster im Nebel beinahe geheult und nun rennt er blind drauflos, als wären ihm die Begriffe Angst und Gefahr völlig fremd .
    Er hetzte dem Kleinen nach, kam aber keinen Deut näher. Erst als Stanef nach minutenlangem Dauerlauf plötzlich stehen blieb, erreichte Hendreg ihn.
    »Was bildest du dir eigentlich ein, du Winzling? Wir gehen auf der Stelle nach… Oh!«
    Jetzt erst bemerkte der Fünfzehnjährige, dass sie die andere Seite des Waldes erreicht hatten. Auf ihr gab es keine Hecke. Stattdessen führte eine flach abfallende Rotgraswiese noch einen Kilometer hinab - bis ans Ufer des Nebelmeers!
    Das war es aber nicht, was Hendreg in seinem Satz hatte innehalten lassen.
    »Ach, du krummes Schneespringerhorn!«
    Fünfzig Meter vor ihnen stand auf der Wiese eines der seltsamsten Bauwerke, die er je gesehen hatte: eine riesige steinerne Treppe! Sie schraubte sich in einer weiten Windung mindestens zehn Meter in die Höhe und beschrieb von dort aus einen geschwungenen Brückenbogen, der an seinem höchsten Punkt abbrach. Auf beiden Seiten der breiten, tiefen und teilweise von Moos bewachsenen Stufen zogen sich wuchtige, ebenfalls steinerne Geländer in die Höhe, von denen an manchen Stellen der Zahn der Zeit bereits große Stücke herausgebissen hatte. Das Bemerkenswerteste an der Treppe aber war, dass lediglich die unterste Stufe Bodenkontakt hatte. Jede weitere ruhte auf der vorangehenden, ohne dass Säulen oder Streben dieser Merkwürdigkeit zusätzlichen Halt verliehen.
    Niemand, nicht einmal Stanef, der begnadete Baumeister von Matschtempeln, wäre auf die Idee gekommen, eine Treppe auf diese Art zu errichten, weil sie unweigerlich bei der dritten oder vierten Stufe einstürzen musste.
    Aber diese war nicht eingestürzt - und sie strahlte eine Würde aus, die Hendreg eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
    »Meinst du, das ist der Grund für die Hecke und das Warnzeichen?«, fragte Stanef.
    »Gut möglich! Schau dir das Ding doch an. Das muss jeden Augenblick in sich zusammenfallen.«
    »Glaub ich nicht!« In Stanefs Augen schwamm ein aufgeregter Glanz. »Die sieht so alt aus und steht immer noch. Wozu die wohl dient?«
    »Weiß ich nicht. Komm, kehren wir um!«
    »Von da oben hat man bestimmt eine wahnsinnige Aussicht!«
    Schon wieder rannte Stanef los. Und Hendreg resignierte. Davon, dass er ständig seinem Bruder hinterherrennen musste, brannten ihm die Lungen und er bekam kaum noch Luft. Er brauchte gar nicht erst versuchen, den flinken Quälgeist zu erwischen.
    »Sei vorsichtig, Winzling. Hörst du?«
    »Ja, ja. Ich halte mich am Geländer fest. Was soll schon passieren?«
    Unten an der Treppe blieb Stanef noch einmal stehen. Er legte die Finger auf den steinernen Handlauf, als wolle er ihn prüfen, folgte dem Verlauf der Treppe mit dem Blick und setzte dann den Fuß auf die unterste Stufe. Es kam die nächste, die übernächste, dann noch eine und noch eine. Mit jeder Stufe wurden seine Schritte zuversichtlicher und zielstrebiger. Als er die Windung hinter sich gebracht hatte und vor dem halben Brückenbogen stand, legte er eine Pause ein und winkte Hendreg zu. Hinter dem Geländer lugten gerade mal sein Kopf und seine Schultern
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