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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter
Autoren: Ulrich Straeter
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verschwistert ist. Der Fluß nimmt die Innenstadt in seine zwei Arme, im Flafen liegen einige Küstenmotorschiffe. Ein altmodisch anmutender Zehntausendtonnendampfer hat mit dicken Hanfseilen an der Pier festgemacht, er scheint den Hafen fast zu sprengen. Die ‘Texas Clipper’, ein Schiff der Universität von Galveston in den USA, ist zu Besuch. Mit seinem senkrecht abfallenden Bug und dem elegant geschwungenen, schmalen, runden Heck erinnert das Schiff an die Zeit der Titanic.
    Draußen vor einem Pub, gegenüber dem noblen Ambassador, einem chinesischen Restaurant, treffen wir George, einen Amerikaner, der allerdings nicht mit dem Texas Clipper gekommen ist. Er besucht zusammen mit seinem Bruder erstmalig Irland, vor allem die armen Verwandten im bäuerlichen Donegal. Er tut unternehmerisch, versteht nicht, daß seine Verwandten nicht mehr aus ihrem Bauernhof machen, hauptsächlich für den Eigenbedarf arbeiten.
    Das würde auch die europäische Agrarzentrale in Brüssel sicher nicht verstehen. Ich versuche ihm klar zu machen, welche Wege die Subventionen gehen, welche landwirtschaftlichen Fabriken daraus entstehen und wie gefährlich Kredite für Kleinbetriebe werden können. Tausende von Bauernhöfen werden jährlich in Europa aufgegeben. Vielleicht würden seine Verwandten mit ihrer Subsidiaritätswirtschaft überleben können.

    Doppeldeckerbusse brausen durch die Stadt, die alt und abgearbeitet aussieht, die schwitzt und staubt und zu stöhnen scheint. Und doch ihren alten Körper mit modernen Fähnchen schmückt, sich sehr europäisch gibt, was die Waren in den Schaufenstern angeht. Es ist alles da, was wir von zu Hause kennen. Vor allem die Produkte der internationalen Großkonzerne. Und die doch irisch ist, was die Verhaltensweisen der Menschen betrifft. Der rote, doppelstöckige Bus mit der Beamish-Reklame hält auf offener Strecke, muß noch eine junges Mädchen mitnehmen, surely.
    Schilder in vielen Schaufenstern fordern auf: Buy Irish! Buy Jobs! Kauft irische Produkte, kauft Arbeitsplätze! Wenn es so einfach wäre!
    Isaac Bell’s Mondgesicht hängt hoch an der Hauswand, eine goldfarbene Scheibe mit Knollennase, wirbt um uns, ein Murphy’s zu trinken. Ob Isaac hinter dem Tresen wirklich so aussieht? Jedenfalls wirbt nicht nur Isaac Bell mit der guten alten Tradition irischer Kneipen ‘with original old wood and stone interior’. The old wood interior aus amerikanischem Redwood Greenhart-Holz oder Pitch Pine. Nicht vergessen: ‘Time stands still as the melodic sounds of bodhran and fiddle, the melodic tunes and reels of celtic culture ‘. Immer wieder Hinweise auf die irische Volksmusik, auf die alten Instrumente, auf die ‘keltische’ Kultur. Als gäbe es nicht den Musiker Van Morrison und andere, die längst auch ‘moderne’ Musik spielen, Rock und Pop, Blues und Jazz.
    Pflastermaler malen die Madonna, gleich dreimal in einem Bild, das ist irisch. Und sie malen Christus mit brennendem Herzen, im Hintergrund einen Engel mit nackten Brüsten. Auch das ist irisch, ‘offiziell’ sind Engel geschlechtslos — wie wir hier sehen, gibt es Ausnahmen.
    Die jungen Familien haben viele Kinder, das ist irisch. Und die Frauen beladen vor den Ausgängen der Supermärkte in der Patrick Street die Einkaufswagen mit Bergen vollgestopfter Plastiktüten, während die Männer mit dem Auto ums Häuser-viertel kreisen, ohne einen Parkplatz zu finden.
    Auch das ist heute irisch.
    Buy Irish, buy Jobs! Floffentlich nützt der Aufruf, damit keine Iren mehr auswandern müssen, wie so viele, die von Cork und dem benachbarten Hafen Cobh aus die Heimatküste für immer im Dunst verschwinden sahen.

LEINEN LOS!

    3. Juli 1993. Heute hat uns die Fähre mitgenommen. We are sailing! Irland verabschiedet sich von uns, wie es uns begrüßt hat: sonnig. Céao m’jle fájlte! Tausend Grüße!
    Mit letzter Kraft und schleifender Kupplung, nein, mit schleifender Bremse wegen des starken Seitenschlages am Hinterrad und mit gerissenem Bowdenzug für meine vorderen Zahnräder hinken wir zum zweitenmal nach Ringaskiddy, dem Fährhafen, hinein. Der Bowdenzug ist völlig verrostet, die Umhüllung aufgeplatzt. Das Jahrhunderttief hat seine Spuren hinterlassen. Ich habe die Kette auf den kleineren vorderen Zahnkranz gelegt und begnüge mich mit sechs Gängen.
    »Du solltest mal dein Fahrrad in Ordnung bringen«, meint Ilse. Die hat gut reden, die mit ihrer schabenden Hinterachse. Aber ich sage lieber nichts, sonst muß ich das
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