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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter
Autoren: Ulrich Straeter
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ihr Land, wir kommen mit fast zwei Stunden Verspätung in Brüssel-Midi an. Ach Europa! * )
    In Europas Hauptstadt ist der gesamte Fahrplan zusammengebrochen, jeder zweite Zug fällt aus, ist ‘abgeschafft’, wie es auf flandrisch aus den Lautsprechern klingt. Uns ist nicht lustig zumute, wir müssen nach Tournai, um dort nach Lille umzusteigen. Von dort soll uns ein Zug nach Calais bringen, wo hoffentlich unsere Fahrräder..., aber das sagten wir schon.
    Bruxelles-Midi. Neugierige und spöttische Blicke treffen uns. Wie verloren hocken wir zwischen Fahrradpacktaschen, Schlafsäcken, Isomatten, Rucksäcken und Zelt. Ständig werden schnell und für uns unverständlich Züge angesagt, die auf anderen als den planmäßigen Bahnsteigen abfahren. Wir haben Sorge, unseren zu verpassen. Gib mal ein Schnittchen und ‘nen Schluck, die Zeit muß genutzt werden.
    Nach einer Stunde kommt Bewegung in die Sache. Das Gleis stimmt. Verspätet, aber erleichtert, zieht die Karawane weiter. Noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben. Kommen wir früh genug in Calais an, können wir heute abend in Dover sein.
    Ab Tournai, denken wir, fahren die Züge im Stundentakt nach Lille. Das ist im Prinzip richtig. Heute jedoch nicht. Heute fährt dort überhaupt kein Zug. Gleisbauarbeiten. Heute bekommen wir — Abenteuer des Schienenstrangs! — eine dreißig Kilometer lange Busfahrt über die Dörfer nach Lille geboten. Der Fluch bleibt uns im Hals stecken, apathisch lassen wir uns durch die Landschaft schaukeln. Einziger Lichtblick für mich ist die exotisch anmutende Schaffnerin mit flottem, rotem Käppi, deren Schönheit mich gefangen nimmt, nachdem ich meinen Blick endgültig von der fast eintönigen Landschaft abgewandt habe. Ach Europa!
    Endlich Lille. Was uns hier wohl erwartet? Ach Langeweile. In vierzig Minuten fährt ein stinknormaler Zug nach Boulogne via Calais. In der Bahnhofshalle stehen hunderte von Menschen und starren andächtig zur großen elektronischen Anzeigetafel empor, auf der ständig Abfahrtszeiten und Gleisangaben erscheinen. Die speziellen Angaben jedes Zuges sind noch einmal am jeweiligen Gleis auf Bildschirmen abzulesen.
    Uns wird langsam klar, daß wir wohl heute nicht mehr über den ‘Ärmel ‘ kommen. Im Dunkeln wollen wir uns in Dover keinen Übernachtungsplatz suchen. Ach Europa! Fahrplanmäßig kommen wir in Calais-Ville an.
    Wenn jetzt die Fahrräder nicht da sind (was wir schon erlebt haben), können von mir aus die europäischen Staatsbahnen ihren Betrieb endgültig einstellen. Auch den Tunnel nach England sollten sie dann wieder zuschütten.
    Die Fahrräder sind da.

    Beim Aufschnallen unserer Packstücke geraten wir gehörig ins Schwitzen. Ungefähr fünfundvierzig Pfund hat jeder von uns zu schleppen.
    Ilse hat neue Einzeltaschen zum Einhängen für den hinteren Gepäckträger, made in Ireland. Aber das ist Zufall. Richtig wasserdichte Fahrradgepäcktaschen gibt es leider nicht. Ach Europa! So haben wir alle Sachen zusätzlich doppelt in Plastiktüten verpackt, was sich auf anderen Fahrten bewährt hat.
    Außerhalb der Stadt finden wir einen Campingplatz am Strand. Die sanitären Anlagen sind offen und beleuchtet, das Büro ist nicht besetzt. Kassiert wird nur am Wochenende. Heute ist Montag. Ach Europa, vierundvierzig Francs gespart. Wir essen französisches Weißbrot, deutschen Ziegenkäse, trinken den Rest Essener Mineralwassers und etwas vom mitgebrachten roten Bordeaux.
    Noch ein kurzer Gang zum Strand: Fähren fahren unablässig mit Festbeleuchtung übers Wasser, Betonbunker aus dem zweiten Weltkrieg liegen schräg und halbversunken im Sand, Fort Mahon droht düster in der zunehmenden Dunkelheit — so nah war Engeland noch nie.
    Im Zelt kriechen wir dann in die neuen Schlafsäcke mit der feuchtigkeitsunempfindlichen Kunststoffüllung und sinken übermüdet auf die harten Isomatten. Nachts springt der Südostwind um auf Nordwest, die Zeltleinwand zerrt und flattert.

    Am nächsten Morgen fahren wir langsam durch die Stadt zum Fähranleger. Linkerhand grüßt hinter einer Häuserzeile der Leuchtturm von Calais, rechts inmitten einer Grünfläche sehen wir das Denkmal ‘Die Bürger von Calais’ von Auguste Rodin. Wir haben es uns größer vorgestellt.
    Die Überfahrt mit Sealink ist ruhig. Wir brauchen eine Stunde und fünfzehn Minuten, es klart wieder auf. Die Felsen von Dover strahlen heute nicht in ihrem schönsten Weiß, sind aber trotzdem beeindruckend. Das erste englische Bitter Beer
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