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Zwischen Macht und Verlangen

Zwischen Macht und Verlangen

Titel: Zwischen Macht und Verlangen
Autoren: Nora Roberts
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unzähligen Glasuren angeordnet, die in allen Regenbogenfarben schillerten. Bei den Werkzeugen befanden sich lange Nadeln mit Holzgriffen, verschieden große Bürsten, Pinsel und Feuerpfannen.
    Die rückwärtige Wand wurde von einem mächtigen begehbaren Brennofen beherrscht. An diesem Tag waren seine schweren Stahltüren geschlossen, weil die Roste mit bunt glasierten oder bemalten Tongefäßen voll standen, um im letzten Brenn Vorgang fertig gestellt zu werden.
    Die Temperatur in dem kleinen Raum war hoch, und Shelby saß nur mit einem T-Shirt bekleidet an ihrer Scheibe. Ihre Beine steckten in Shorts, und zum Schutz gegen Spritzer hatte sie eine große weiße Arbeitsschürze umgebunden.
    Die beiden einzigen Fenster zeigten zum Hof, deshalb drangen nur wenige Wochenendgeräusche von der Straße herein. Shelby summte leise zur Radiomusik und betrachtete sinnend den Tonklumpen, aus dem für heute das letzte Stück entstehen sollte. Ihr leuchtend dunkelrotes langes Haar hatte sie mit einem Lederband zurückgebunden.
    Diesen Arbeitsgang mochte sie am liebsten. Die Scheibe begann sich zu drehen, und ihre Hände betasteten das weiche Material. Noch wusste sie nicht, was daraus entstehen würde. Eine Vase vielleicht oder eine Schale? Gedrungen oder schlank, verziert oder glatt?
    Der nächste Schritt würde das Auftragen der Farben sein. Die Zusammenstellung der verschiedensten Töne und das Entwerfen von Mustern entsprach einer anderen Seite ihres künstlerischen Wesens.
    Mit bloßen Händen ging sie nun ans Werk. Sie presste, drückte und streichelte einen formlosen Ball aus dem frischen Tonklumpen.
    Mit geschicktem Griff quetschte sie die Luftblasen aus dem Ton. Das Material war feucht und frisch. Shelby hatte es nach einem speziellen Verfahren sorgfältig vorbereitet, um die richtige Konsistenz zu bekommen. Ein feuchter Schwamm lag erreichbar an der Seite.
    Shelby legte beide Hände gleichmäßig um den Ton, als die Drehungen der Scheibe sich beschleunigten. Dann verstärkte sie den Druck und spürte, wie der nichts sagende Klumpen eine bestimmte Form anzunehmen begann, so wie sie es wollte.
    Völlig auf ihre Arbeit konzentriert, achtete Shelby nicht auf die Zeit. Nur die Scheibe summte, und das Radio spielte im Hintergrund. Sie beherrschte den gefügigen Ton, so wie sie selbst von ihrer Kreativität beherrscht wurde. Eine ganz bestimmte, symmetrische Form schwebte ihr heute vor. Etwas Starkes, Maskulines sollte dieser Gegenstand ausdrücken, mit klaren, gleichmäßigen Linien von unauffälliger Eleganz.
    Die Rotation der Scheibe und Shelbys modellierende Finger zauberten nach und nach aus der unansehnlichen Masse ein besonderes Stück von eigenwilliger Gestalt und Schönheit. Geschickt und sicher bearbeitete sie die bauchige Schale innen und außen. Ein Falz entstand als Fuß und oben ein breiter, geschwungener Rand. Auch über die Bemalung war Shelby sich im Klaren: hartes jadegrün, und unter der dicken Glasur gelegentlich kleine Tupfen – aber wirklich nur eine Spur – von weicherem Farbton. Die klare Fläche durfte nicht durch Muster oder Verzierungen unterbrochen werden. Geradlinig, schlicht und streng würde die Schüssel nur durch ihre Form und Farbe wirken.
    Zufrieden ließ Shelby die Hände sinken. Es war besonders wichtig, mit einer Arbeit an einem bestimmten Zeitpunkt aufzuhören und nichts mehr zu verändern.
    Seufzend streckte sie ihren Rücken, nun spürte sie die Anstrengung der konzentrierten Arbeit. Ein heißes Bad würde gut tun.
    Shelby drehte sich zur Tür um und holte erschrocken tief Luft.
    „Das war ein bemerkenswerter Anschauungsunterricht!“ Alan nahm die Hände aus den Hosentaschen und trat auf Shelby zu. „Wissen Sie gleich, wenn Sie mit einem neuen Stück beginnen, wie es fertig aussehen wird, oder kommt die Inspiration während der Arbeit?“
    Shelby pustete sich die Haare aus der Stirn, bevor sie antwortete. Keinesfalls wollte sie ihn das Nächstliegende fragen, nämlich was er hier suchte und wollte. „Es kommt darauf an“, erwiderte sie schließlich.
    Alan trug Jeans und Polohemd. Ein neuer, ungewohnter Anblick. Der elegante Herr von gestern hatte sich erstaunlich verändert. Seine Kleidung war gepflegt, aber nicht neu.
    Das galt auch für die Sportschuhe, die allerdings recht teuer gewesen sein mussten, und für die dünne goldene Uhr an seinem Handgelenk. Er machte den Eindruck eines Mannes, der über genügend finanzielle Mittel verfügt, doch auch gut mit seinem Geld umzugehen
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