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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer
Autoren: S Dessen
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auf jeden Firlefanz ab, der das Leben angeblich vereinfachte. Gleichzeitig neigte er zu Schlaflosigkeit   – eine fatale Kombination. Bis spät in die Nacht hockte er unten, prüfte Verträge, schrieb eine E-Mail nach der anderen und die ganze Zeit lief im Hintergrund der Fernseher. Unweigerlich kam dann irgendwann irgendein Info-Werbespot, der ihn sofort wie magisch anzog. Fasziniert verfolgte er den aufgekratzten, künstlichen Dialog zwischen dem Anpreiser und demjenigen, dessen Produkt angepriesen wurde; sah wie gebannt bei der praktischen Demonstration des betreffenden neuen Geräts sowie der Präsentation der Prämien zu, die man zusätzlich bekommen würde, sofern man sich entschloss sofort anzurufen und zu bestellen. Doch da hielt er auch bereits den Hörer in der einen Hand und zückte mit der anderen seine Kreditkarte.
    Wenn ich auf einer nächtlichen Wanderung in die Küche zufällig vorbeikam, sagte er zu mir: »Also, das nenne ich mal eine echte Neuerung!« Und seine Stimme überschlug sich vor lauter Kaufvorfreude.
    Für »echte Neuerungen« hielt mein Vater beispielsweise: Die spezielle Spezialsammlung von Grußkarten für meine Mutter, die Karten für jeden erdenklichen Feiertag von Kwanzaa bis Lichtmess enthielten, allerdings keine einzige Weihnachtskarte. Oder den Plastikapparat, der einer kleinen Bärenfalle ähnelte und mit dessen Hilfe man sich angeblich die perfekte Hochsteckfrisur machen konnte   – was dazu führte, dass wir ihn aus meinen Haaren rausschneiden mussten, weil sich das Teil hoffnungslos darin verheddert hatte. Der Rest der Familie lief zwar schreiend davon, wenn wieder ein
E.I.N.fach
-Produkt bei uns auftauchte, mein Vater ließ sich dadurch jedoch weder beirren noch erschüttern. Unser Spott perlte an ihm ab. Er liebte das
Potenzial
dieser abstrusen Gegenstände, die Möglichkeiten, die einem dadurch verheißen wurden, und behandelte jedes einzelne Teil so, als hielte er damit die konkrete Antwort auf existenzielle Fragen in Händen, Fragen wie
Warum leben wir?
oder
Gibt es einen Gott?.
Fragen, um deren Antwort sich die Menschheit seit ewigen Zeiten vergeblich bemühte.Doch sofern die Frage
Gibt es eine Zahnbürste, die gleichzeitig als Mundwasserspender funktioniert?
lautete, erhielt zumindest mein Vater endlich eine eindeutige, eine klare Antwort: Ja. Ja, ohne jeden Zweifel.
    »Schau dir das an!«, sagte er und in seinem Ton schwang eine solche Begeisterung mit, dass man ihn dafür nur knuddeln konnte, sogar wenn man selbst alles andere als begeistert war. Aber das war typisch für meinen Vater. Er hatte seinen Spaß an den Dingen und das hatte etwas Ansteckendes. »Gib zu, das ist eine großartige Erfindung!« Mit diesen Worten präsentierte er einem: feuchtigkeitsabsorbierende Untersetzer aus Schwamm, ein sprechendes Diktiergerät, eine Kaffeemaschine mit Fernbedienung. »Erstaunlich,was? Die meisten Menschen kämen gar nicht erst auf die Idee, dass man sich so etwas überhaupt ausdenken kann!«
    Mir blieb bei so viel ungebremstem, fast naivem Enthusiasmus gar nichts anderes übrig als von klein auf eine ähnlich begeisterte Reaktion zu entwickeln: zustimmender, staunender Gesichtsausdruck kombiniert mit eifrigem Nicken. Meine Schwester dagegen, die Melodramatikerin unserer Familie, konnte sich nicht einmal zu einem schwachen Lächeln durchringen, sondern schüttelte jedes Mal bloß den Kopf: »Mensch, Papa, wann hörst du endlich auf, dauernd diesen Mist zu bestellen?« Meine Mutter versuchte immerhin sich auf seine Marotten einzulassen; als die Kaffeemaschine mit Fernbedienung uns ereilte, räumte sie sogar ihre Super-Espressomaschine weg   – bis wir mitkriegten, dass die Frequenz der Fernbedienung durch das Babyfon unserer Nachbarn gestört wurde, worauf die Kaffeemaschine sich eigenständig einschaltete und uns um drei Uhr früh weckte, weil der Geruch nach frischem Kaffee durchs Haus zog. Des Weiteren erduldete meine Mutter den Papiertaschentuchspender, den er auf dem Armaturenbrett ihres BMWs installierte (
Riskieren Sie keine Unfälle mehr, nur weil Sie nach einem Tempotaschentuch suchen müssen!
), duldete das Teil sogar noch, nachdem es sich bei einer Autobahnfahrt aus der Halterung gelöst hatte, sie an der Stirn traf und ihr Wagen fast auf die Gegenfahrbahn geschleudert worden wäre, weil sie sich so erschrocken hatte, dass sie das Lenkrad herumriss.
    Auf den Tod meines Vaters reagierten wir sehr unterschiedlich. Meine Schwester schien die Trauer für uns
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