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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer
Autoren: S Dessen
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Chemie. Die ultimativen Akademiker   – jedes Mal wenn ich einen von den beiden ohne Buch in der Hand sah, beschlich mich das eigenartige Gefühl, ein Körperteil würde fehlen, Nase oder Ellbogen . . .
    Ich versuchte diesen Gedanken aus meinem Bewusstsein zu schieben, während Mr Talbot mich fragte: »Na, Macy, was hast du für Pläne, solange Jason weg ist? Er kommt ja erst im August zurück.«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich. Ich würde Jason am Informationsschalter der Bibliothek vertreten, wo er normalerweise arbeitete, aber abgesehen davon dehnten sich die kommenden acht Ferienwochen vor mir aus wie eine Einöde. Außer Jason kannte ich zwar schon noch ein paar Leute, vor allem aus der Schülermitverwaltung. Doch die fuhren auch fast alle weg, nach Europa oder ins Ferienlager. Außerdem hatte ich, ehrlich gesagt, kaum noch Zeit fürandere, seit Jason und ich zusammen waren. Es war einfach immer irgendwas: Yogastunden oder Lernen oder ich half ihm bei einer der tausend Sachen, für die er sich engagierte, und bei seinen diversen Schulsprecheraktionen. Außerdem wurde Jason leicht ungeduldig, wenn jemand keine so rasche Auffassungsgabe hatte wie er und nicht so intelligent oder interessiert an allem war; ich hatte es aufgegeben, uns mit neuen Leuten zu verabreden. Das ging leicht daneben, eben weil er schnell genervt war; deshalb fand ich es leichter, meine Zeit mit ihm allein oder mit ihm und den Leuten zu verbringen, die Jason schon kannte und die mit ihm mithalten konnten. Ich empfand das nie als Problem   – so klappte es einfach am besten zwischen uns, das war alles.
    Auf dem Weg zum Flughafen unterhielten Jason und sein Vater sich über irgendwelche Wahlen, die in Europa stattgefunden hatten, seine Mutter regte sich über die Baustellen auf und ich starrte den Abstand zwischen Jasons und meinem Knie an (zwei Zentimeter) und fragte mich, warum ich nicht versuchte näher an ihn ranzurücken. Fragte mich das übrigens nicht zum ersten Mal. Er hatte mich erst bei unserer dritten Verabredung geküsst und mittlerweile waren wir seit anderthalb Jahren zusammen, aber bei diesen sehr seltenen, verhaltenen Küssen oder Berührungen war es geblieben. Wir hatten bisher nicht mal darüber gesprochen, weiterzugehen, vielleicht sogar bis zum Äußersten. Anfangs war das völlig okay gewesen, denn als wir uns kennen lernten, konnte ich es kaum ertragen, umarmt zu werden. Niemand durfte mir zu nahe kommen. Alles, was ich wollte, war ein Freund, der verstand, wie ich mich fühlte, und das respektierte. Doch mittlerweile wünschte ich mir mehr. Zumindest manchmal.
    Am Gate verabschiedeten wir uns. Nachdem seine Eltern ihn umarmt hatten, ließen sie uns rücksichtsvoll allein und gingen durch die Wartehalle zu dem großen Fenster, von dem aus man die Landebahnen und den weiten blauen Himmel darüber sehen konnte. Ich schlang meine Arme um Jason und atmete tief den vertrauten Duft ein: Deoroller mit sportlicher Note, Gesichtswasser gegen Akne. Atmete tief ein: kleiner Vorrat für die kommende Zeit der Trennung.
    »Ich werde dich vermissen«, sagte ich. »Sehr.«
    »Es sind doch bloß acht Wochen«, antwortete er.
    Er küsste mich auf die Stirn. Und plötzlich, ganz schnell   – so schnell, dass ich keine Zeit hatte zu reagieren   –, auch auf die Lippen. Lehnte sich leicht zurück und sah mich an. Seine Hände schlossen sich etwas fester um meine Taille.
    »Wir mailen, okay?« Wieder küsste er mich auf die Stirn. Sein Flug wurde aufgerufen. Er ging durch den Gang Richtung Flugzeug davon. Während ich ihm nachblickte, spürte ich ein leichtes Ziehen in der Brust. Mir stand ein langer Sommer bevor. Ich hätte mir einen richtigen Kuss gewünscht, einen Erinnerungskuss, hatte aber schon vor langer Zeit gelernt, dass man sich seine Abschiede nicht aussuchen kann. Es gibt weder Abschiedsgarantien noch -versprechen. Man kann von Glück, ja von Segen sprechen, sofern überhaupt ein Abschied stattfindet.
     
    Ich war dabei, als mein Vater starb.
    Seitdem klebte das an mir wie ein Etikett. Ich war nicht die Tochter von Deborah Queen, die hübsche Häuser in exklusiven neuen Wohnanlagen bauen ließ. Und auch nicht Macy, die Schwester von Caroline   – Caroline Queen, diemit ihrer Hochzeitsfeier ins kollektive Gedächtnis eingegangen war. Meine Schwester hatte letzten Sommer im
Lakeview Inn
geheiratet, und es war eindeutig das rauschendste Hochzeitsfest gewesen, das dort je stattgefunden hatte. Man kannte mich nicht mal als
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