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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Titel: Zwischen den Zeilen
Autoren: Benedikt Altmann , Berthold F. Bauer
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mich faszinierende, ganz bestimmte Form von kraftbetonter Sensibilität aus, die in dieser Weise auch ganz gut seine tiefe Empfindsamkeit und Konsequenz für die geistigen Dinge des Lebens wiederzuspiegeln schien.
    Daniel war ein sehr angenehmer Mensch. Ich mochte ihn sehr und verbrachte daher auch sehr gerne hier im Lesesaal wirklich sehr viel Zeit mit ihm.
    Denn im Gegensatz zu manch anderem Besucher in meinem Lesesaal erschien Daniel auch in der größten Sommerhitze immer korrekt angezogen, um seine Handschriften einzusehen. Nie in Shorts oder gar in einem dieser absolut furchtbar lächerlichen ärmellosen Basketballhemdchen. Er wusste ganz automatisch, was sich hier in diesen geheiligten Hallen gehörte. Ein gewisser, aber natürlich auch jederzeit angemessener Ausdruck von Respekt vor der Leistung derer, die oft vor vielen Jahrhunderten diese Pergamente ohne jede technische Hilfsmittel mit unglaublichster Anstrengung und höchster Kunstfertigkeit unter oft genug extremen Umständen in den Wirren der Geschichte bewerkstelligt hatten. Daniel und ich, wir teilten ganz offenbar intuitiv dieselben Werte.
    Etwas, was man leider nicht von allen Benutzern hier behaupten konnte. Neulich marschierte ein Student hier sogar in Badelatschen und Strandshorts herein, um seine bestellte Handschrift einzusehen. Und das, obwohl ich ihn fast drei Wochen auf diesen Termin hatte warten lassen. Nach einem heftigen Rüffel musste er dann erst noch einmal kurz hinüber in sein Wohnheimzimmer gehen und sich komplett umziehen. Lange Hose, ordentliches Hemd, Socken und geschlossenen Schuhe. Eigentlich habe ich hier ja nun gottlob auch gar keine erzieherischen Aufgaben mehr. Deshalb habe ich den Job in der Schule mit dem Unterrichten ja auch aufgegeben. Der bestand dort am Ende aus über achtzig Prozent Erziehen und nur noch aus zwanzig Prozent akademisch orientierter Kompetenzvermittlung.
     
    Nachdem ich die kostbare Handschrift, mit der Daniel gerade den größten Teil seines Nachmittages zugebracht hatte, wieder an ihrem Platz in einem besonders gesicherten und ganz speziell klimatisierten Magazin untergebracht hatte, ging ich hinauf in mein Büro, eine Etage höher.
     

 
     
     
     
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    Herr Bertold Friedrich Bauer, M.A.
    Studienrat im Hochschuldienst
    Koordinator Handschriftenlesesaal
    Sprechzeiten nur nach Absprache!
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    stand dort an der Tür zu lesen. Seit meinen Praktika im Internat waren inzwischen fast sechzehn Jahre vergangen, und nach einer Zusatzausbildung hatte ich das nervtötende Unterrichten von ständig opponierenden und dauernd geilen pubertären Jugendlichen zwischenzeitlich aufgegeben und kümmerte mich nun mittlerweile um angenehm schweigende alte Handschriften, die sehr dankbar darüber schienen, wenn sich jemand so gut und intensiv wie ich um sie kümmerte.
     
    Aber das Unheil erwartete mich nun bereits auch dort schon wieder direkt vor meiner Türe in der Gestalt einer aufgekratzten Doktorandin, dunkel eingefasste Brille und mit einem Zettel in der Hand. »Herr Bauer, Sie müssen mir unbedingt helfen. Ich brauche unbedingt für morgen einen Platz im Lesesaal, um diese Handschrift hier einzusehen.«
    »Für den Rest der Woche sind bereits leider alle Leseplätze schon komplett vergeben, tut mir leid«, sagte ich und blickte kurz auf die Signatur auf ihrem Zettel. Auch noch schlampig geschrieben, das Ganze, ohne jeden Respekt vor dem Werk. »Lassen sie sich unten am Empfang einen Beratungstermin bei mir geben, dann sehen wir weiter. Und im Übrigen können sie hier nicht so einfach mal schnell auf gut Glück raufspazieren.« Ich deutete dabei auf die strenge Sprechzeitenbestimmung auf meinem Türschild.
    »Aber, Herr Bauer. Das dauert dann ja wieder ewig. Und die Dame dort unten am Empfang, die die Termine macht, ist auch nur von 8-10 zu sprechen und sie geht sonst auch so gut wie nie ans Telefon. Kann ich mich denn nicht gleich ganz kurz bei Ihnen direkt im Büro eintragen? Es ist wirklich dringend. Diese Handschrift ist noch nicht eingescanned und über die Datenbank im normalen Lesesaal am Bildschirm daher auch nicht abrufbar. Bitte? Es ist wirklich dringend.«
    »Tut mir leid, Schätzchen!« hörte ich mich bestimmt und unnachgiebig sagen. »Ich kann da leider keinerlei Ausnahmen zulassen. Alle Bewerber um einen Platz im Lesesaal werden in der Reihenfolge ihrer Anmeldung gleich behandelt. Ganz egal, ob Student, Examenskandidat, Doktorand, einfacher
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