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Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer
Autoren: Verkauftes Sterben
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errichteten Hochhäuser. Müller fuhr mit dem Fahrstuhl in die dritte Etage und öffnete die Tür zu dem Zweizimmer-Appartement, das Sutthoff vor Monaten angemietet hatte und das immer noch von der Lichmed bezahlt wurde.
    Er stellte seinen Koffer ab, warf den Mantel auf das Sofa und ging in das Badezimmer. Das kleine Holzregal, das links neben dem Waschbecken hing, war nicht zu übersehen. Im Regal befand sich lediglich ein Nageletui. Müller legte es auf den Rand des Beckens. Dann hob er das Möbel so weit an, dass er es von den Haken lösen konnte, die es an der Wand hielten, und stellte es auf dem Boden ab. Er zählte die Fliesenreihen: neun von unten, drei von rechts. Der Riss in den Fugen war kaum zu erkennen. Müller griff zu dem Etui und schob vorsichtig die Spitze einer Nagelfeile in den Spalt. Etwas Druck und die Fliese, die mit Klettband gehalten wurde, löste sich. Eine Öffnung wurde sichtbar. In dem dahinter liegenden Hohlraum befanden sich mehrere Schlüssel sowie eine grüne, in Plastikfolie eingeschweißte Ausweiskarte. Müller lächelte.
    Sutthoff hatte an alles gedacht.
    Der blaue Opel Corsa stand auf seinem Platz in der Tiefgarage. Die Fahrzeugpapiere lagen im Handschuhfach.
    Müller hätte es zwar vorgezogen, einen Wagen mit deutschem, am besten Hamburger Kennzeichen zu fahren, aber in einer internationalen Großstadt würde das luxemburgische Nummernschild sicher nicht besonders auffallen. Mit einem der Schlüssel aus dem Versteck ließ sich der Wagen starten.
    Müller stellte den Corsa in einem Parkhaus nicht weit von der Filiale der Deutschen Bank entfernt ab. Die letzten Meter ging er zu Fuß.
    In der Bank trat er an den Informationsschalter und trug sein Anliegen vor. Wenig später stand er einem Bankangestellten gegenüber, dem er die grüne Karte und den Schlüssel präsentierte. Der Banker begleitete Müller in die Kellerräume, wo sich die Schließfächer befanden. Er ließ sich Müllers Schlüssel aushändigen und öffnete damit das erste Schloss des Faches Nummer 312. In das zweite Schloss passte der Zentralschlüssel des Bankers. Der Mann nahm eine Metallkassette aus dem Fach und stellte sie vor Müller auf einen Tisch.
    »Bitte sehr. Wenn Sie fertig sind, rufen Sie mich. Ich warte draußen.«
    Als der Mann den Raum verlassen hatte, öffnete Müller die Kassette. Er schob die schwere Handfeuerwaffe beiseite und langte stattdessen zu einem Bündel Einhunderter, von denen er zwanzig abzählte und in die Tasche steckte. Dann griff er sich fünf kleine Zellophanbeutel, die ein helles, fast weißes Pulver enthielten. Die Beutel verschwanden ebenfalls in seinem Mantel. Müller klappte den Kassettendeckel wieder zu und schob das Behältnis zurück in das Fach. Er nickte zufrieden.
    Alles war so, wie es sein sollte. Dann ging er zur Tür.
    Von der Bank waren es nur wenige hundert Meter bis zum Hauptbahnhof. Es nieselte noch immer. Müller griff zum Handy und wählte eine eingespeicherte Nummer. Eine Stimme meldete sich mit dem Namen einer Apotheke. Er verlangte den Inhaber zu sprechen und wechselte einige Worte mit ihm.
    Dann schlug er den Kragen seines Mantel hoch, zögerte einen Moment und betrat die Straße.
     
    Durch einen Nebeneingang gelangte Müller in das Bahnhofsgebäude, warf an einem Zeitungskiosk einen kurzen Blick auf die Schlagzeile der BILD-Zeitung, die schreiend verkündete, dass es den neunten Drogentoten dieses Jahres in Hamburg gegeben hatte, und erreichte den Haupteingang. Dort musterte er verstohlen die Polizeibeamten, die einen ständigen
    – und ebenso hoffnungslosen – Kampf gegen Dealer und andere Kleinkriminelle führten. Nach einiger Zeit verschwanden die Beamten und sofort tauchten die jungen Stricher und ihre Kunden wieder auf, die aus sicherer Entfernung das Geschehen auf der Bahnhofsplatte verfolgt hatten und nun ungestört ihren Geschäften nachgehen konnten.
    Einer der Stricher, ein Junge von höchstens vierzehn Jahren, hatte Müller schon länger beobachtet und sprach ihn nun an:
    »Haben Sie Feuer?«
    Der Mann lächelte wissend. »Nein. Aber ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.«
    Sie verhandelten nur kurz. Dann wechselten zwei Heroinpäckchen den Besitzer. Michail Müller hatte den ersten seiner neuen Mitarbeiter gewonnen.
     
    Dank an Thomas Koch, der auf der Insel Juist Teile des Manuskriptes für mich ausdruckte und mir so eine unkomplizierte Weiterarbeit ermöglichte.
    Jan Zweyer,
    Frühjahr 2004
     

       ENDE
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