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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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bloß mein Leben hin? Und wo bin ich hin? Kommt eigentlich irgendwann der Punkt, an dem man nicht mehr heulen kann, weil keine Tränen mehr übrig sind? Oder trocknet man einfach irgendwann aus?
    Welcher Tag ist heute? Wie heiße ich eigentlich? Marie? Ich kenne keine Marie.
    Und während diese Fremde an einem warmen Sommerabend auf einer Schaukel sitzt und innerlich austrocknet, dreht die Erde sich vermutlich weiter um sich selbst. Lässt sich bescheinen und beregnen und beschneien und bestürmen von allen Seiten und nichts, aber auch rein gar nichts wird sie aus ihrer Bahn werfen. Diese Marie hingegen wäre gern ein bisschen weniger Marie und ein bisschen mehr Erde. Ein bisschen stärker und ein bisschen größer.
    Ein bisschen mehr von alledem, was sie nicht ist.
    Wieder zu Hause versuche ich Isabella zu erreichen. Ich lasse es Ewigkeiten klingeln, aber sie geht nicht ran. Dann ist ihr Handy ausgeschaltet und ihre Mailbox lügt mich an: »Der von ihnen gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar.« Haha. Was für ein Witz. Wohl eher: »Ihre ex-beste Freundin schämt sich gerade in Grund und Boden und hat sich aus Reuegefühl die Zunge abgeschnitten. Wer keine Zunge mehr hat, kann auch nicht lügen.« Tolle Idee, Isa. Erst knutschst du mit meinem Freund und dann bist zu feige, dich von mir anschreien zu lassen. Oh, wie gern würde ich dir gerade ins Ohr brüllen, was für eine miese kleine Schlampe du bist. Unsere Fotos habe ich sowieso schon zerrissen. Hat aber leider nicht geholfen.
    Ich finde es einfach unfassbar: Heute Morgen schien noch alles wie immer. Wie immer habe ich Isa vor der Schule abgeholt, wir sind wie immer zusammen in den Bus gestiegen und wie immer hat Isa mir von ihren neuesten Diätplänen erzählt. Und wie immer habe ich versucht, ihr diesen Ich-bin-zu-fett-Fimmel auszureden. Sie wollte jetzt eine Woche lang fasten und sich nur noch von so einem komischen Dosenfutter ernähren, das sie in der Apotheke entdeckt hat, und sie hat etwas von innerer Reinigung gefaselt und ich habe sie ausgelacht.
    Falls ich es noch nicht erwähnt habe: Isa ist schlank wie ein Grashalm. Aber seit ungefähr einem Jahr ist sie besessen von der Idee, dringend abnehmen zu müssen. Vielleicht hat sie sich, was diesen Punkt betrifft, von den Tussis aus ihrem Tanzkurs infizieren lassen. Was das Thema Nahrungsaufnahme angeht, ist das echt ein kranker Verein. Einige dieser Mädchen glauben nämlich, die Daseinsberechtigung der Mathematik bestünde im Erwerb der Fähigkeit, Kalorien zusammenaddieren zu können. Manche von denen führen sogar einen Kalorienkalender, den sie immer mit sich rumschleppen und in dem sie jede Mahlzeit aufs Kalorienkomma genau protokollieren. Das ist kein Witz! Wirklich nicht.
    Aber das hier, das ist ein großer Witz. Es ist ein Witz, dass ich hier herumsitze und Däumchen drehe und Löcher in die Wand starre wie eine Irre und darauf warte, dass sich mal einer von den beiden bemüßigt fühlt, mich von der Übelkeit zu befreien, die eine gewisse SMS vor ein paar Stunden in mir ausgelöst hat.
    Ich werde Isa einen Besuch abstatten. Jetzt. Ich werde diese miese Kuh von einer besten Freundin zur Rede stellen. Sie soll sich den Wahnsinn ruhig reinziehen, den sie losgetreten hat. Na warte, du Miststück!
    Isa wohnt bloß drei Häuser weiter. Womöglich spekuliert sie trotzdem darauf, dass ich mich nicht traue, bei ihr aufzukreuzen.
    Womöglich verschwendet sie aber gerade auch keinen einzigen Gedanken an mich. Wer weiß, vielleicht ist Oliver ja gerade bei ihr? Bitte nicht! Oder bitte doch? Vielleicht liegen sie gerade auf ihrem Plüschsofa und küssen sich? Das darf nicht sein! Oliver kann mich doch nicht einfach so auswechseln! Das kann doch nicht sein, dass er seine Zunge in den nächstbesten Hals schiebt und ihn dabei nichts an mich erinnert? Oder doch? So kaltblütig kann man doch nicht sein oder etwa doch? War denn gar nichts wahr von dem, was er mir erzählt hat, in den letzten vier Monaten? Dass ich sein Mädchen bin. Dass ich das Mädchen bin, auf das er gewartet hat. Dass er mit mir die Welt entdecken will und dass ich sein Hafen bin, weil er bei mir so sein kann, wie er ist. Sind das alles bloß blöde Lippenbekenntnisse gewesen? Alles bloß Blabla?
    Ist Isa jetzt sein Mädchen oder wie? Ist sie jetzt sein Hafen? Und was bin ich dann gewesen? Ein Fehler in seinem Navigationssystem? Das ergibt alles keinen Sinn.
    Ob er sie mit denselben Augen ansieht wie mich? Ob er sie küsst,
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