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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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Oliver mal auf diesem Stuhl saß und ich auf seinem Schoß, er mir in den Hals gebissen hat und zu mir sagte, ich sei das leckerste Mädchen, dem er je begegnet ist. Dass ich neben Oliver vor diesem Fernseher gelegen und zu Titanic Rotz und Wasser geheult habe, bringt mich nicht dazu, den Fernseher aus dem Fenster zu schmeißen, auch wenn es eine Maßnahme wäre, die mir im Moment verdammt logisch erscheint und bei den Nachbarn ganz gewiss Aufsehen erregen würde. Oliver wischte mir damals die Tränen mit dem kleinen Finger von der Wange und sagte: »Du siehst so schön aus, wenn du weinst.« Ich habe das noch ganz genau im Ohr. Herzlichen Glückwunsch. Dann bin ich heute aber mit Abstand die Allerschönste hier. Und was kann die Kommode dafür, dass Oliver mir dabei geholfen hat, sie zu streichen – in Grün mit pinkfarbenen Blümchen drauf? Ich kann ja nachträglich noch ein paar Totenköpfe dazumalen. In Pink.
    Eins steht jedenfalls fest: Ich muss hier raus! Ich werfe einen letzten Blick auf das Foto-Geschnetzelte zu meinen Füßen, stehe auf und gehe zur Tür.
    Leise drehe ich den Schlüssel um. Ich will auf keinen Fall jemandem über den Weg laufen. Schon gar nicht meinem Bruder. Sein Zimmer ist direkt neben meinem und ich habe keine Lust darauf, dass er mich so sieht. Ich bin schließlich seine große Schwester und große Schwestern laufen nicht herum wie verpeilte Zombies und große Schwestern heulen auch nicht. Dieses Privileg ist kleinen Brüdern vorbehalten. Außerdem will ich nicht gemein zu ihm sein und das wäre ich jetzt, erstens, weil er mir nicht auf die Pelle rücken soll mit seinen Fragen, und zweitens, weil es viel leichter ist, fies zu seinem kleinen Bruder zu sein als zum Beispiel z u … Oliver.
    Mit der Behutsamkeit eines Einbrechers drücke ich die Türklinke, schleiche mich in den Flur und die Treppen hinunter, wobei ich die knarrenden Stufen profimäßig auslasse.
    Unten angekommen sehe ich, dass die Tür zum Wohnzimmer angelehnt ist. Der Fernseher läuft. Zum Glück. Unbemerkt vom Rest der Welt kann ich mich nach draußen stehlen.
    Da erwartet mich ein schöner warmer Sommerabend. Hätte ich das gewusst, wäre ich in meinem Zimmer geblieben. Die Sonne hängt groß und rot am Dachgiebel des Nachbarhauses fest, am Himmel ist kein einziges Wölkchen zu sehen und die Vögel brüllen. Ganz offensichtlich hat die Natur noch nicht begriffen, dass jetzt Schluss sein muss mit Romantik und dass ein Schneesturm im Augenblick echt angebrachter wäre. Oder wie wäre es mit einem warmen Sommerregen? Ich meine, in den Filmen regnet es doch ständig, wenn deprimierte Frauen einsam durch die Straßen rennen. (Und die Männer kommen nie hinterher, das habe ich schon begriffen!) Ich will, dass es um mich herum so aussieht, wie es sich in mir anfühlt. Und ich bin innerlich so was von verregnet!
    Ich gehe die Straße entlang. Und plötzlich habe ich ein Ziel. Das fällt in unserem Viertel nicht sonderlich schwer, denn es gibt eigentlich nur einen Bäcker, einen Gemüsehändler und diese Kneipe, die sich »Der Falke« nennt, aber in Wirklichkeit eine Geisterbahn ist.
    Ich war da nur ein einziges Mal drin. Da hockten diese Männer am Tresen, und ich war mir fast sicher, dass ich die bei Tageslicht in unserer Gegend noch nie gesehen hatte. Sie waren ungefähr tausend Jahre alt und rochen schlecht und sahen so aus, als säßen sie schon immer auf diesen Barhockern und als hätten sie in ihrem Leben auch nichts anderes mehr vor, als sich das nächste Bier zu bestellen.
    Und es gibt den Spielplatz.
    Meine Füße tragen mich fast von selbst. Und ich weiß beim besten Willen nicht, was ich dort verloren habe.
    Lüge! Lüge! Lüge!
    Ich weiß es.
    Ich habe dort einen Traum verloren. Er ist in den Holzbalken der Schaukel geritzt. Ich habe ihn selbst dort hineingraviert, mit Olivers Taschenmesser.
    Mein Traum hat drei Buchstaben. Hatte drei Buchstaben. Ich lehne an der Schaukel und fahre mit den Fingerspitzen die süßen idiotischen Einkerbungen im Holz entlang, die ich dort hinterlassen habe. O+M=L.
    Die Kerben sind nachgedunkelt und sehen aus wie Narben. Und ein bisschen stimmt das ja auch.
    O+M=L. Oliver plus Marie gleich Liebe. Wer hat eigentlich behauptet, Mathematik sei logisch? Oder habe ich mich bloß verrechnet? Ich befürchte: Eins plus eins bleibt zwei, aber sonst ist nichts mehr, wie es war. Warum? Warum tut er mir das an? Warum kickt er mich aus seinem Leben wie einen ausrangierten Fußball?
    Wo ist denn
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